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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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unaufhörlich auf das zurückkommt, was in der Theorie am meisten abstract  ist, verschmäht er die Anwendung als eine unnütze Folge der Prinzipe, die er festgestellt hat.
    Eine lebendige Beschreibung der Meisterstücke giebt der Kritik mehr Interesse, als allgemeine Ideen, welche über den Gegenständen schweben, ohne irgend einen zu characterisiren. Die Metaphysik ist, so zu sagen, die Wissenschaft des Unbeweglichen; alles aber, was der Zeitfolge unterworfen ist, erklärt sich nur aus einer Vermischung von Thatsachen und Reflexionen. Die Deutschen möchten über alle Gegenstände zu vollständigen und von den Umständen durchaus unabhängigen Theorien gelangen: da dies aber unmöglich ist, so muß man nicht auf Thatsachen Verzicht leisten, aus bloßer Furcht, daß sie die Ideen in allzu enge Gränzen einschließen. Die Beispiele allein ätzen, in der Theorie wie in der Praxis, die Vorschriften der Erinnerung ein.
    Die Quintessenz von Gedanken, welche gewisse deutsche Werke darbieten, conzentrirt nicht, wie die der Blumen, die stärksten Wohlgerüche; man könnte im Gegentheile sagen: sie sey ein kalter Ueberrest von lebenvollen Bewegungen. Bei dem allen könnte man aus diesen Werken eine Menge höchst interessanter Bemerkungen ziehen, nur, daß sie sich in einander verwirren würden. Seinen Geist immer vorwärts treibend, führt der Autor seine Leser auf einen Punkt, wo die Ideen allzu zart sind, als daß man versuchen könnte, sie anders wohin zu verpflanzen.
    Aug. Wilh. Schlegels Schriften sind minder abstract, als Schillers. Da er im Fache der Literatur seltene Kenntnisse besitzt, die es selbst in seinem Vaterlande sind; so wird er durch das Vergnügen, welches er in der Vergleichung verschiedener Sprachen und verschiedener Poesien findet, unaufhörlich zur Anwendung zurückgeführt. Ein so universeller Gesichtspunkt müßte beinahe als unfehlbar betrachtet werden, wenn die Partheilichkeit ihn nicht bisweilen verrückte: aber diese Partheilichkeit ist nicht willkürlich, und ich werde den Gang und den Zweck derselben angeben, nachdem ich zuvor von Gegenständen geredet haben werde, in welchen sie nicht zum Vorschein tritt.
    A.W.Schlegel hat zu Wien Vorlesungen über die dramatische Literatur gehalten, welche alles, was seit den Griechen bis auf unsre Zeiten Merkwürdiges für das Theater geschrieben worden ist, umfassen. Keine trockene Nomenclatur von den Arbeiten der verschiedenen Autoren! Der Geist jeder Literatur ist in diesen Vorlesungen mit der Einbildungskraft eines Dichters aufgefaßt, und man fühlt, daß es, um solche Resultate zu geben, außerordentlicher Studien bedarf, wiewohl die Gelehrsamkeit sich in diesem Werke, nur in der vollendeten Kenntniß der Meisterwerke bemerkbar macht. Auf wenigen Seiten genießt man die Arbeit eines ganzen Lebens; jedes, über einen Autor ausgesprochene Urtheil, jedes den Schriftstellern, von welchen die Rede ist, beigelegte Epitheton, ist schön und gerecht, genau und belebt. A. W. Schlegel hat die Kunst gefunden, die Meisterwerke der Poesie wie die Wunder der Natur zu behandeln, und sie mit lebhaften Farben, welche der Wahrheit der Zeichnung keinesweges schaden, auszumalen. Denn, man kann es nicht genug wiederholen, die Einbildungskraft, weit entfernt, eine Feindin der Wahrheit zu seyn, hebt dieselbe mehr hervor, als irgend ein anderes Vermögen unseres Geistes, und alle die, welche sich auf sie stützen, um übertriebene oder unbestimmte Ausdrücke zu entschuldigen, sind zum wenigsten eben so sehr von Poesie, als von Vernunft verlassen. 
    Die Zergliederung der Principe, worauf Tragödie und Komödie sich gründen, ist in A. W. Schlegels Vorlesungen mit großer philosophischer Tiefe verhandelt worden. Dergleichen Verdienst findet sich oft unter deutschen Schriftstellern; allein in der Kunst, Enthusiasmus einzuflößen für die großen Köpfe, die er selbst bewundert, hat Schlegel seines Gleichen nicht. Im Allgemeinen zeigt er sich als einen Anhänger des einfachen Geschmacks, bisweilen sogar des rohen; allein er macht in dieser seiner Ansicht eine Ausnahme zum Vortheil der mittäglichen Völker. Ihre Wortspiele und ihre Concetti sind kein Gegenstand seines Tadels; er verabscheut das Manierirte, welches aus dem Geiste der Gesellschaft erwächst, dagegen gefällt ihm das, was von dem Luxus der Einbildungskraft und poetischen Werken herrührt, wie Verschwendung der Farben und der Wohlgerüche in der Natur. Nachdem sich Schlegel durch seine Uebersetzung des Shakespear

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