Ueber Deutschland
Beziehung sind die Deutschen stärker in der Theorie, als in der Praxis, und der Norden ist den Künsten, welche das Auge treffen, so wenig günstig, daß man sagen möchte, es sey ihm nur der Geist des Nachdenkens gegeben worden, um dem Süden zum Zuschauer zu dienen.
Raphael, Sixtinische Madonna (1512/13)
Man findet in Deutschland eine Menge Bildergallerien und Sammlungen von Zeichnungen, welche die Liebe für die Künste in allen Classen der Gesellschaft voraussetzen. Bei großen Herrn und bei Gelehrten vom ersten Range trifft man Copien von den Meisterstücken des Alterthums. Göthe's Haus ist in dieser Hinsicht besonders merkwürdig. Er liebt nicht blos das Vergnügen, welches der Anblick von Statuen und Gemählden großer Meister gewähren kann; er glaubt sogar, daß Genie und Gemüth dadurch gewinnen. „Ich würde vollkommner werden, sagt er, wenn ich den Kopf des olympischen Jupiter, den die Alten so sehr bewundert haben, vor Augen hätte.“ Mehrere ausgezeichnete Mahler haben sich in Dresden niedergelassen; die Meisterwerke der dortigen Gallerie wecken Talent und Nacheiferung. Jene Jungfrau Raphaels, welche zwei Kinder betrachten, ist für sich allein ein Schatz für die Künste; in dieser Figur ist eine Erhebung und eine Reinheit, welche das Ideal der Religion und der inneren Stärke des Gemüths ist. Die Vollkommenheit der Züge ist in diesem Gemälde nur ein Symbol; die langen Gewänder, ein Ausdruck der Schaam, wenden alles Interesse auf das Gesicht hin, und die Physiognomie, noch bewundernswürdiger, als die Züge, ist gewissermaßen die himmlische Schönheit, welche sich durch die irdische offenbaret. Das Christuskind, das die Mutter in ihren Armen hält, ist höchstens zwei Jahre alt; allein der Mahler hat die mächtige Kraft des himmlischen Wesens in dem kaum gebildeten Gesichte auf eine wunderbare Weise auszudrücken gewußt. Der Blick der kindlichen Engel, welche unten angebracht sind, ist entzückend; nur die Unschuld dieses Alters hat noch Zauber neben der himmlischen Reinheit. Ihr Erstaunen beim Anblick der strahlenden Jungfrau gleicht nicht der Ueberraschung, welche Menschen empfinden könnten; ihre Miene sagt, daß sie mit Vertrauen anbeten, weil sie in ihr eine Bewohnerin desselben Himmels erkennen, den sie vor kurzem verlassen haben.
Corregio, Die Nacht (1529/30)
Correggio's Nacht ist, nach Raphaels Jungfrau, das schönste Meisterwerk der Dresdner Gallerie. Man hat die Anbetung der Hirten sehr oft dargestellt; allein da die Neuheit des Gegenstandes so viel als nichts ist in dem Vergnügen, welches die Malerei verursacht, so reicht die Art und Weise, wie das Gemälde Correggio's gedacht ist, für die Bewunderung desselben aus. In der Mitte der Nacht erhält das Kind auf dem Schooße seiner Mutter die Huldigungen der Hirten. Das Licht, welches von dem Heiligenschein, der sein Haupt umgiebt, ausgeht, hat etwas Erhabenes. Die Personen, welche fern von dem göttlichen Kinde in dem Hintergrunde des Gemäldes gestellt sind, befinden sich noch in der Dunkelheit, und man möchte sagen, diese Dunkelheit sey das Sinnbild des menschlichen Lebens, ehe die Offenbarung es aufgehellet hatte.
Unter den verschiedenen Gemälden moderner Künstler zu Dresden erinnere ich mich eines Kopfs von Dante, welcher ein wenig den Charakter der Figur Ossians in dem schönen Gemälde von Gerard hatte. Diese Analogie ist glücklich. Dante und Fingals Sohn können sich über Jahrhunderte und Wolken hin die Hände reichen.
Ferdinand Hartmann (1774-1842), Die drei Marien am Grabe
Ein Gemälde von Hartmann stellt den Besuch der Magdalena und der beiden Frauen, Maria genannt, am Grabe Christi vor. Ihnen erscheint der Engel, um ihnen anzukündigen, daß Christus auferstanden ist. Der geöffnete Sarg, welcher keine sterblichen Ueberreste mehr enthält, die Frauen, von bewundernswürdiger Schönheit, die ihre Blicke gegen den Himmel wenden, um daselbst denjenigen wieder zu sehen, welchen sie in den Schatten des Grabes gesucht hatten, bilden ein Gemälde, das zugleich malerisch und dramatisch ist.
Christian Gottlieb Schick (1761-1812), Dankopfer Noahs
Schick, ein anderer deutscher Künstler, der sich jetzt zu Rom niedergelassen hat, ist Urheber eines Gemäldes, welches das erste Opfer Noah's nach der Sündfluth vorstellt. Die Natur, durch die Gewässer verjüngt, scheint eine neue Frischheit erhalten zu haben; die Thiere haben die Miene der Vertraulichkeit mit demPatriarchen und dessen Kindern, weil
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