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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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kein Mensch, wie groß auch seine Einsicht seyn möge, vermag zu errathen, was sich auf eine natürliche Weise in dem Geiste eines Anderen entwickelt, der auf einem verschiedenen Boden lebt, und eine andere Luft athmet. Man wird sich also in jedem Lande wohl dabei befinden, fremde Gedanken aufzunehmen; denn, was diesen Punkt betrift: so macht die Gastfreundschaft das Glück des Empfängers.
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Zwei und dreißigstes Capitel. Von den schönen Künsten in Deutschland.
    Im Allgemeinen haben die Deutschen mehr Empfänglichkeit für die Kunst, als sie Geschicklichkeit besitzen, diese Kunst auszuüben. Kaum haben sie einen Eindruck erhalten, so ziehen sie daraus eine Menge Ideen. Sie sprechen viel von Geheimniß, aber nur um es zu offenbaren, und man kann keine Art von Eigenthümlichkeit in Deutschland aufweisen, ohne daß Jeder erklären will, wie man dazu gekommen ist. Dies ist ein wesentlicher Nachtheil; vorzüglich für die Künste, wo alles Sensation ist. Sie werden zergliedert, ehe man sie gefühlt hat, und wenn man hinterher auch sagt, daß die Zergliederung überflüssig sey: so hat man doch die Frucht von dem Baum des Erkenntnisses genossen, und die Unschuld des Talents ist dahin.
    Nicht, daß ich in Beziehung auf die Künste jene Unwissenheit empfehlen möchte, die ich in Dingen der Literatur zu tadeln nicht aufgehört habe. Allein man muß unterscheiden zwischen den Studien, die sich auf die Ausübung der Kunst beziehen, und zwischen denen, welche die Theorie des Talents zum ausschließenden Gegenstande haben. Diese, wenn sie allzuweit getrieben worden, ersticken die Erfindung. Man wird verwirrt durch die Zurückerinnerung an Alles, was über ein Meisterwerk gesagt worden ist; man fühlt zwischen sich und dem Gegenstande, den man mahlen will, eine Menge von Abhandlungen über Mahlerei und Bildhauerei, über das Ideale und das Reale; und der Künstler ist nicht mehr allein mit der Natur. Ohne allen Zweifel ist die Aufmunterung der Geist aller dieser Handlungen; allein durch allzu viel Aufmunterung ermüdet man das Genie, wie man es durch allzu viel Zwang erstickt, und in Dingen, die von der Einbildungskraft abhängen, bedarf es einer so glücklichen Mischung von Hindernissen und Erleichterungen, daß Jahrhunderte vergehen können, ohne daß man den eben rechten Punkt erreicht, wo die Blüthe des menschlichen Geistes in ihrer ganzen Kraft hervorbricht.
    Vor der Reformation hatten die Deutschen eine Schule der Mahlerei, welche die italienische Schule nicht verschmähete. Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Holbein, haben in ihrer Manier zu mahlen, Aehnlichkeit mit den Vorgängern Raphaels, Perugino, Andreas Mantegna u.s.w. Holbein nähert sich dem Leonardo da Vinci. Im Ganzen ist indeß in der deutschen Schule mehr Härte, als in der italienischen, wenn gleich nicht weniger Ausdruck und Andacht in den Physiognomien. Die Mahler des fünfzehnten Jahrhunderts besaßen wenig Kenntniß von den Mitteln der Kunst; dafür bricht aus ihren Werken eine rührende Treuherzigkeit und Bescheidenheit hervor. Man entdeckt keine Ansprüche auf ehrgeizige Wirkungen; man fühlt nur jene innige Bewegung, für welche alle Menschen von Talent eine Sprache suchen, um nicht auszuscheiden, ohne ihren Zeitgenossen ihr Gemüth mitgetheilt zu haben.
    In den Gemählden des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts sind die Falten der Gewänder ganz gerade, die Kopfbekleidung ein wenig starr und die Stellungen höchst einfach: allein in dem Ausdruck der Figuren ist etwas, das man zu betrachten nicht ermüdet. Gemählde, welche die christliche Religion eingehaucht hat, bewirken einen Eindruck, der mit dem der Psalmen große Aehnlichkeit hat, welche die Poesie mit der Frömmigkeit so bezaubernd vermischen.
    Die zweite und schönere Epoche der Mahlerei war die, wo die Mahler die Wahrheit des Mittelalters beibehielten, indem sie ihr den vollen Glanz der Kunst beigesellten. Bei den Deutschen entspricht nichts dem Jahrhundert Leo's des Zehnten. Gegen das Ende des siebzehnten bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geriethen die schönen Künste beinahe allenthalben in einen sonderbaren Verfall. Der Geschmack artete in Affectation aus. Jetzt offenbarte sich der große Einfluß Winkelmanns nicht blos auf sein Vaterland, sondern auch auf das übrige Europa. Seine Schriften gaben jeder künstlerischen Einbildungskraft die Richtung nach dem Studium und der Bewunderung der Denkmäler des Alterthums. Er verstand sich aber besser auf

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