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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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einander verschieden. Darüber ist man, glaub' ich, allgemein einverstanden, daß die nachahmende Musik verbannt werden müsse. Aber über die ausdrückende Musik bleiben noch zwei Ansichten übrig. Einige wollen in ihr die Uebersetzung der Worte finden; andere, und zwar die Italiener, begnügen sich mit einem allgemeinen Verhältniß zwischen den Lagen des Stücks und der Absicht der Arien, und suchen das Vergnügen der Kunst einzig in ihr selbst. Die Musik der Deutschen ist mannigfaltiger, als die der Italiener; und gerade hierin steht jene vielleicht hinter dieser zurück. Der Geist ist zur Abwechselung verdammt; sein eigener Jammer ist die Ursache davon. Aber die Künste, wie die Gefühle, haben eine bewundernswürdige Eintönigkeit, die nämlich, aus welcher man einen ewigen Augenblick machen möchte.
    Die Kirchenmusik ist in Deutschland minder schön, als in Italien, weil die Instrumente darin immer vorherrschen. Wenn man zu Rom das Miserere, von lauter Menschen Stimmen gesungen gehört hat, so erscheint alle Instrumentalmusik, selbst die der Dresdner Capelle, als irdisch. Die Violinen und Trompeten machen einen Bestandtheil des Dresdener Orchesters während des Gottesdienstes aus, und die Musik ist daselbst mehr kriegerisch als religiös. Der Contrast der lebhaften Eindrücke, welche sie bewirkt, mit der kirchlichen Andacht, ist nicht angenehm. Man muß das Leben nicht in der Nähe von Gräbern beseelen. Die Kriegsmusik treibt zur Aufopferung des Daseyns, aber nicht zur Lossagung von demselben.
    Auch die Musik der Wiener Capelle verdient gerühmt zu werden. Von allen Künsten, welche die Wiener schätzen, ist die Musik die erste. Dies gewährt die Hoffnung, daß sie einmal werden Dichter werden; denn, trotz ihren, ein wenig prosaischen Neigungen, ist jeder, der die Musik liebt, auch ohne es zu wissen, enthusiastischer Freund, alles dessen, was sie zurückruft. Ich habe zu Wien das Requiem gehört, welches Mozart einige Tage vor seinem Tode komponirt hatte, und das in der Kirche am Tage seines Leichenbegängnisses gesungen wurde. Es ist nicht feierlich genug für die Lage, und wie in Allem, was von Mozart herrührt, so findet man auch hierin Scharfsinniges. Indeß was ist rührender, als ein Mann von überwiegendem Talent, der auf diese Weise sein eigenes Leichenbegängniß feiert, und zugleich von dem Gefühl seines Todes und seiner Unsterblichkeit begeistert ist! Die Andenken des Lebens müssen die Gräber schmücken; die Waffen eines Kriegers werden darüber aufgehangen, und die Meisterwerke der Kunst verursachen einen feierlichen Eindruck in dem Tempel, wo die Asche des Künstlers ruhet.
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Dritter Theil.
I. Abtheilung. Die Philosophie und die Moral.
Erstes Capitel. Von der Philosophie.
    Man hat seit einiger Zeit das Wort Philosophie verunglimpfen wollen. So geht es allen Benennungen, welche sehr viel in sich schließen; sie sind ein Gegenstand des Segens oder des Fluchs für das menschliche Geschlecht, je nachdem sie in glücklichen oder in unglücklichen Zeiten gebraucht werden. Indeß verändern Philosophie, Freiheit und Religion, trotz den zufälligen Verunglimpfungen oder Lobsprüchen von Individuen und Nationen, ihren Werth nicht. Der Mensch hat der Sonne, der Liebe, dem Leben geflucht; er hat gelitten, er hat sich von den Fackeln der Natur verzehrt gefühlt. Allein, möchte man deshalb diese Fackeln auslöschen? 
    Alles, was daraus abzweckt, unsere Fähigkeiten zu beschränken, ist immer eine herabwürdigende Lehre; man muß sie auf das erhabene Ziel des Daseyns, auf die moralische Vervollkommnung, hinleiten. Nicht durch die partielle Ertödtung der einen oder der andern Potenz unseres Wesens setzen wir uns in den Stand, dieses Ziel zu umfassen; uns ihm zu nähern, haben wir der Mittel nicht zu viel, und wenn der Himmel dem Menschen mehr Genie beschieden hätte, so würde er eben dadurch um so viel mehr Tugend haben. Unter den verschiedenen Zweigen der Philosophie ist die Metaphysik derjenige, welcher die Deutschen besonders beschäftigt hat. Die Gegenstände, welche sie umfaßt, können in drei Classen getheilt werden. Die erste bezieht sich auf das Geheimniß der Schöpfung, d. h. auf das Unendliche in allen Dingen; die zweite auf die Bildung der Ideen im menschlichen Geiste; die dritte auf die Uebung unserer Fähigkeiten, ohne zur Quelle derselben aufzusteigen.
    Das erste dieser Studien, ich meine dasjenige, wodurch man das Geheimniß des Universums kennen lernen

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