Ueber Deutschland
in Europa nicht seines Gleichen hatte, als es, im höchsten Grade, Geist und Rechtlichkeit, Anmuth und Offenheit, Muth und Fröhlichkeit, die rührendste Einfachheit und die geistreichste Naivetät verband. Allein die deutschen Kunstrichter haben freilich behauptet, daß die unterscheidenden Züge des französischen Charakters sich während der Regierung Ludwigs des Vierzehnten verwischt haben. In den sogenannten klassischen Jahrhunderten, sagen sie, verliert die Literatur an Originalität, was sie an Korrektheit gewinnt; und so haben sie besonders unsere Dichter mit sehr kräftigen Argumenten und Mitteln angegriffen. Der allgemeine Geist dieser Kunstrichter ist derselbe, den Rousseau in seinen Brief gegen die französische Musik an den Tag gelegt hat. Sie glauben in vielen von unseren Tragödien die Art von pomphafter Ziererei zu finden, welche Rousseau einem Lully und Rameau zum Vorwurf macht, und sie behaupten, daß derselbe Geschmack, welcher einem Coypel und Boucher in der Malerei, und einem Ritter Bernin in der Bildhauerei den Vorzug verschaffte, der Poesie den Aufschwung verbietet, der allein einen göttlichen Genuß daraus macht. Endlich fühlen sie sich versucht, auf unsere Manier, die schönen Künste aufzufassen und zu lieben, Corneille's so oft angeführten Verse anzuwenden:
Othon à la princesse a fait un compliment
Plus en homme d'esprit qu'en veritable amant.
A. W. Schlegel huldigt indessen den Meisten von unseren großen Autoren. Das Einzige, was er beweisen möchte, ist, daß seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts die manierirte Gattung in ganz Europa vorgeherrscht hat, und daß darüber der kühne Geist verloren gegangen ist, der die Schriftsteller und Künstler beim Wiederaufleben der Wissenschaften beseelte. In den Gemälden und Bas-Reliefs, wo Ludwig der Vierzehnte bald als Jupiter, bald als Herkules dargestellt ist, erscheint er nackt, oder auch mit einer Löwenhaut umgeben, aber nie fehlt seine große Perrücke. Die Schriftsteller der neuen Schule behaupten, man könne diese große Perrücke auf die Physiognomie der schönen Künste im siebzehnten Jahrhundert anwenden. Es mischte sich immer eine gezwungene Artigkeit ein, wovon eine erkünstelte Größe die Ursache war.
Immer ist es interessant, diese Ansicht zu untersuchen, trotz den zahllosen Einwürfen, die sich dagegen machen lassen. Ausgemacht ist wenigstens, daß diese deutschen Aristarchen ins Ziel getroffen haben, weil sie von allen Schriftstellern seit Lessing diejenigen sind, die das Meiste beigetragen haben, die Nachahmung der französischen Literatur in Deutschland aus der Mode zu bringen. Aber aus Furcht vor dem französischen Geschmack haben sie den deutschen nicht vervollkommnet, und nicht selten haben sie sehr richtige Bemerkungen blos deshalb verworfen, weil sie von französischen Schriftstellern herrührten.
In Deutschland versteht man nicht, ein Buch zu machen. Selten bringt man die Ordnung und Methode an, welche die Ideen in dem Kopfe des Lesers klassificiren. Ueber dergleichen Mängel ermüden die Franzosen, nicht weil sie ungeduldig sind, sondern weil ihnen ein richtiger Geist beiwohnt. In den deutschen Poesieen sind die Erdichtungen nicht in den festen und abgemessenen Umrissen entworfen, welche ihre Wirkung sichern, und das Unbestimmte der Einbildungskraft entspricht der Dunkelheit des Gedankens. Wenn endlich die bisarren und gemeinen Späße sogenannter komischer Werke geschmacklos sind: so rührt dies nicht von einer Stärke des Natürlichen her, wohl aber daher, daß eine erzwungene Energie vollkommen eben so lächerlich ist, als eine erzwungene Anmuth. Ich mache mich lebhaft, sagte ein Deutscher, indem er zum Fenster hinaussprang. Wenn man sich zu etwas macht, so ist man nichts. Man muß zu dem guten französischen Geschmack zurückkehren, um das Gegenmittel gegen die kräftige Uebertreibung einiger Deutschen zu finden, so wie man sich von der dogmatischen Frivolität einiger Franzosen nur durch den Tiefsinn der Deutschen retten kann.
Nationen müssen sich einander zu Führern dienen, und alle würden Unrecht haben, wenn sie sich der Einsichten beraubten, die sie sich gegenseitig gewähren können. Es ist etwas ganz Besonderes in dem Unterschiede des einen Volkes von dem anderen: das Klima, der Anblick der Natur, die Sprache, die Regierung, besonders aber die Begebenheiten der Geschichte – eine Macht, welche noch außerordentlicher ist, als die übrigen alle – tragen zu diesen Verschiedenheiten bei, und
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