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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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sie gemeinschaftlich der allgemeinen Fluth entgangen sind. Das Grün, die Blumen und der Himmel sind gemalt mit lebhaften und natürlichen Farben, welche die Sensation von orientalischen Landschaften zurückrufen. Mehrere andere Künstler bemühen sich, wie Schick, dem neuen System, das in der literarischen Poesie eingeführt, oder vielmehr erneuert ist, zu folgen; aber die Künste bedürfen der Reichthümer, und große Glücksgüter sind in den verschiedenen Städten Deutschlands zerstreut. Außerdem besteht in Deutschland der wirkliche Fortschritt, den man gemacht hat, darin, daß man die alten Meister ihrem Geiste nach fühlt und copirt. Das ursprüngliche Genie hat sich daselbst noch nicht stark ausgesprochen.

    Bertel Thorvaldsen (1770-1844), Jason
     
    Die Bildhauerei ist in Deutschland mit keinem sonderlichen Erfolg geübt worden, theils weil es an Marmor fehlt, welcher die Meisterwerke unsterblich macht, theils, weil die Deutschen weder den Tact noch die Anmuth der Stellungen und Gesten haben, welche die Gymnastik oder der Tanz allein erleichtern können. Bei dem allen rivalisirt ein Däne, Namens Thorwaldsen, der sich in Deutschland gebildet hat, gegenwärtig zu Rom mit Canova, und sein Jason gleicht dem, den Pindar als den schönsten Mann beschreibt; ein Vließ liegt um seinen linken Arm, eine Lanze trägt er in der Hand, und die Ruhe der Kraft charakterisirt den Helden.
     

    Ida Brun (1792-1857) mit der Büste ihrer Mutter
     
    Ich habe bereits gesagt, daß die Bildhauerei im Allgemeinen dabei verliert, daß der Tanz so ganz vernachläßigt wird. Das einzige Phänomen, welches es in dieser Kunst in Deutschland giebt, ist Ida Brun, ein junges Mädchen, welches durch sein gesellschaftliches Daseyn von dem Künstlerleben geschieden ist. Ida Brun hat von der Natur und von ihrer Mutter ein unsägliches Talent erhalten, die rührendsten Gemälde, oder die schönsten Statuen durch einfache Stellungen darzustellen; ihr Tanz ist nur eine Folgereihe flüchtiger Meisterwerke, von welchen man jedes für immer festhalten möchte. Es ist wahr, daß ihre Mutter in ihrer Einbildungskraft alles geschaffen hat, was die Tochter den Blicken malt; die Poesieen von Friederike Brun lassen in der Kunst und der Natur tausend neue Reichthümer entdecken, welche die zerstreuten Blicke bisher nicht wahrgenommen hatten. Ich habe die junge Ida als Kind die Althea machen sehen, wie sie bereit ist, den Brand, an welchem das Leben ihres Sohnes Meleager hängt, zu verbrennen. Ohne Worte drückte sie den Schmerz, die Kämpfe und den fürchterlichen Entschluß einer Mutter aus; ihre belebten Blicke dienten unstreitig zur Darstellung dessen, was in ihrem Herzen vorging; allein die Kunst, ihre Gebehrden zu verändern, und den Purpurmantel, womit sie bekleidet war, zu drappiren, brachte zum wenigsten eine eben so große Wirkung hervor, wie ihre Physiognomie. Bisweilen verweilte sie länger in einer Stellung, und jedesmal hätte ein Maler nichts besseres erfinden können, als das von ihr improvisirte Gemälde. Ein solches Talent ist einzig. Ich glaube indeß, daß man in Deutschland sich mit besserem Erfolg auf den pantomimischen Tanz legen wird, als auf den, der, wie in Frankreich, blos in der Anmuth und Beweglichkeit des Körpers besteht.
    Die Deutschen zeichnen sich in der Instrumentalmusik aus. Die Kenntnisse, die sie erfordert, und die Geduld, deren es zu ihrer Ausführung bedarf, sind ihnen ganz natürlich; sie besitzen auch Komponisten von sehr mannigfaltiger und sehr fruchtbarer Einbildungskraft. Nur eine Einwendung möchte ich gegen ihr Genie als Musiker machen: sie bringen zu viel Geist in ihre Werke, sie denken zu viel über das, was sie machen. In den schönen Künsten steht der Instinkt über dem Gedanken. Die deutschen Componisten folgen dem Sinn der Worte allzu genau; freilich ein großes Verdienst für die, welche die Worte höher achten, als die Musik, wobei sich auch nicht leugnen läßt, daß der Mangel an Uebereinstimmung zwischen dem Sinn der einen und dem Ausdruck der anderen sehr unangenehm seyn werde. Indeß die Italiener, welche die wahren Natur-Musiker sind, passen die Gesangsweisen den Worten nur auf sehr allgemeine Weise an. Da in Romanzen, in Gassenliedern wenig Musik ist, so mag man dies Wenige den Worten unterwerfen; aber in den großen Wirkungen der Melodie muß man das Gemüth durch eine unmittelbare Sensation bestürmen.
    Die, welche die Malerei an und für sich wenig lieben, legen doch nicht selten einen hohen

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