Ueber Deutschland
möchte, ist bei den Griechen eben so betrieben worden, wie es gegenwärtig von den Deutschen betrieben wird. Läugnen läßt sich nicht, daß eine solche Untersuchung, wie erhaben sie auch in ihrem Princip sey, uns unsere Ohnmacht auf jedem Schritte fühlbar mache; und aus Anstrengungen, welche zu keinem Ergebniß führen, folgt Muthlosigkeit. Die Nützlichkeit der dritten Classe metaphysischer Beobachtungen, die, welche sich auf die Kenntniß der Acte unseres Verstandes beschränkt, kann nicht bestritten werden; allein diese Nützlichkeit begränzt sich durch den Zirkel täglicher Erfahrungen. Die philosophischen Forschungen der zweiten Classe, die, welche die Natur unserer Seele und den Ursprung unserer Ideen umfassen, scheinen mir von allen die anziehendsten zu seyn. Es ist nicht wahrscheinlich, daß wir jemals zum Anschauen der Wahrheiten gelangen werden, welche die Existenz dieser Welt erklären: das Verlangen, welches wir darnach fühlen, gehört zur Zahl der edlen Gedanken, die uns nach einem andern Leben hinziehen. Aber gewiß ist uns die Fähigkeit, uns selbst zu erforschen, nicht vergeblich ertheilt worden. Dieser Fähigkeit bedienen wir uns zwar schon dann, wenn wir den Gang unseres Geistes, so wie er ist, beobachten; aber wenn wir uns noch höher erheben, wenn wir zu erforschen suchen, ob dieser Geist unkräftig handelt, oder nur, von äußeren Gegenständen angereizt, zu denken vermag: dann werden wir über den freien Willen des Menschen, und folglich über das Laster und die Tugend, zu besseren Einsichten gelangen.
Denn eine Menge moralischer und religiöser Fragen hängt von der Art und Weise ab, auf welche man den Ursprung und die Bildung unserer Ideen betrachtet; und gerade die Verschiedenheit der Systeme in dieser Hinsicht trennt die deutschen Philosophen von den französischen. Leicht begreift sich, daß, wenn die Verschiedenheit in der Quelle liegt, sie sich auch in allem offenbaren müsse, was davon abgeleitet wird. Es ist demnach unmöglich, Deutschland kennen zu lernen, ohne den Gang der Philosophie zu zeichnen, der von den Zeiten Leibnitzens bis auf die unsrigen nicht aufgehört hat, eine bedeutende Herrschaft über die Republik der Wissenschaften auszuüben.
Es giebt zwei Arten, die Metaphysik des menschlichen Verstandes ins Auge zu fassen: entweder in der Theorie, oder den Resultaten nach. Die Prüfung der Theorie erfordert eine Fähigkeit, welche ich nicht besitze; allein es ist leicht, den Einfluß zu beobachten, welchen die eine oder die andere metaphysische Meinung auf die Entwickelung des Geistes und des Gemüths ausübt. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, sagt das Evangelium, und diese Maxime kann uns auch bei Prüfung verschiedener Philosophien leiten; denn alles, was aus Immoralität abzweckt, ist immer nur Sophisterei. Dies Leben hat nur in sofern einen Werth, als es zur religiösen Erziehung unseres Herzens dient, als es uns zu einer erhabeneren Bestimmung vorbereitet, beides durch die freie Wahl der Tugend auf Erden. Metaphysik, gesellschaftliche Institutionen, Künste, Wissenschaften – alles muß nach der moralischen Vervollkommnung des Menschen gewürdigt werden: dies ist der Probierstein, der dem Unwissenden, wie dem Unterrichteten gegeben ist. Denn, wenn auch die Kenntniß der Mittel nur den Eingeweihten zukommt, so sind doch die Resultate für das Fassungsvermögen Aller da.
Um die Metaphysik gehörig zu fassen, muß man mit der Methode des Raisonnements vertraut seyn, deren man sich in der Geometrie bedient. In jener Wissenschaft, wie in dieser, zerstört das kleinste Glied der Kette, wenn es übersprungen wird, den Zusammenhang, welcher zur Evidenz führt. Metaphysische Raisonnements sind abstracter, und nicht minder scharf, als die der Mathematik; und doch ist ihr Gegenstand unbestimmt. Im Studium der Metaphysik muß man die beiden, am meisten entgegengesetzten Fähigkeiten vereinigen: Einbildungskraft und Berechnung; eine Wolke muß mit eben der Genauigkeit gemessen werden, wie ein Erdstrich, und kein Studium erfordert eine so angestrengte Aufmerksamkeit. Bei dem allen giebt es in den allerhöchsten Fragen immer einen Gesichtspunkt, der dem Fassungsvermögen der großen Mehrheit entspricht; und dieser ist es, den ich aufzufassen und darzustellen gedenke.
Ich fragte eines Tages Fichte'n, einen von den kräftigsten Denkern Deutschlands, ob er mir nicht seine Moral vor seiner Metaphysik mittheilen könnte? – „Die eine hängt von der andern ab,“ war seine
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