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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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verbietet. Freilich, ließe sich in einem Lande die Urkraft des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts dadurch beibehalten, daß man es vor den Schriften des achtzehnten bewahrte, so möchte es vielleicht ein großes Glück seyn; da aber das Eindringen der Meinungen und der Aufklärung von Europa in einer Monarchie unvermeidlich ist, die gerade im Mittelpunct von Europa liegt, so ist es ein doppelter Nachtheil, ihnen nur halb den Eingang zu verstatten; denn jederzeit sind es die schlimmsten Schriften, die sich durchschleichen. Werke, in welchen die Unmoralität in lachenden Formen und egoistische Grundsätze zur Schau getragen werden, gelangen immer in das Publikum, weil es Vergnügen daran findet. Die Bücherverbote treffen nur, in ihrer ganzen Strenge, die philosophischen Schriften, die den Geist erheben und die Ideen erweitern. Der Zwang solcher Verbote ist zwar vorzüglich geeignet, die Seelenträgheit zu unterhalten, keinesweges aber, die Unschuld des Herzens zu bewahren.
    In einem Lande, wo alles sich nur langsam bewegt; in einem Lande, wo alles die Gemüther in eine tiefe Ruhe einwiegt, ist das geringste Hinderniß hinreichend, um nichts zu thun, nichts zu schreiben, ja, wenn man will, um nichts zu denken. Was geht über Glück? wird man sagen. Gleichwohl muß man sich über die Bedeutung des Worts Glück verständigen. Besteht das Glück in den Eigenschaften, die man entwickelt, oder in denen, die man erstickt? Unstreitig ist eine Regierung immer achtungswerth, wenn sie sich ihrer Macht nicht überhebt, die Gerechtigkeit ihrem Interesse nie aufopfert; aber das Glück des Schlummers ist trüglich; große Widerwärtigkeiten können es stören; und um die Zügel desto leichter und sanfter halten zu können, muß man die Rosse nicht steif werden lassen.
    Sehr leicht kann eine Nation sichs an den allgemeinen Gütern des Lebens, an der Ruhe und dem Wohlbehagen genug seyn lassen; oberflächliche Denker werden sogar behaupten, die ganze Staatskunst beschränke sich darauf, dem Volke dieses Glück zu Theil werden zu lassen. Dennoch bedarf es edlerer Künste, um sich einen Patrioten nennen zu können. Die patriotische Gesinnung setzt sich aus den Erinnerungen großer Männer zusammen, aus der Bewunderung der Meisterwerke des National-Genies, aus der Liebe, die man für die öffentlichen Anstalten, für die Religion, für den Ruhm seines Vaterlandes in sich fühlt. Diese Seelenreichthümer sind die einzigen, die uns durch ein fremdes Joch geraubt würden; wollte man sich blos an die körperlichen Genüsse halten, so würde man diese ja immer auf demselben Boden finden, sollte er auch noch so oft den Herrn wechseln.
    Im vorigen Jahrhundert besorgte man mit Unrecht in Oestreich, die schönen Wissenschaften würden dem Kriegsgeiste nachtheilig seyn. Rudolph von Habsburg nimmt sich die goldene Halskette ab, um sie einem damals berühmten Dichter umzuhängen. Kaiser Maximilian dictirte seinem Schreiber ein Gedicht in die Feder. Karl der Fünfte sprach und erlernte fast alle Sprachen. Ehedem gab es auf allen europäischen Thronen Fürsten, die in den Wissenschaften bewandert waren, und in literarischen Kenntnissen eine neue Quelle von Seelengröße auffanden. Nicht die höhern, nicht die schönen Wissenschaften sind es, die dem Charakter je etwas von seiner Kraft benehmen werden. Die Beredsamkeit bringt Tapferkeit hervor; der Muth macht beredt; alles was für einen großen Gedanken die Pulsschläge des Herzens verdoppelt, verdoppelt auch des Menschen wahre Kraft, seinen Willen; nur jener systematische Egoism, der allenfalls bisweilen seine Familie als einen Anhang von sich selbst mit aufnimmt; nur jene Philosophie, im Grunde die Philosophie des gemeinen Mannes, ohngeachtet sie mit eleganten Formen verbrämt ist, und welche alles verachtet und verschmäht, was sie Wahn nennt, nämlich die Aufopferung für Andere und den Enthusiasmus; nur dieses sind Gattungen von Aufklärung, die den Nationaltugenden gefährlich werden können; und gerade diese Feinde kann die Censur nicht von einem Lande entfernt halten, welches von dem Dunstkreis des achtzehnten Jahrhunderts umgeben ist. Man kann der Verkehrtheit und Verderblichkeit der Schriften nur dadurch entgehen, daß man allem, was sie Großes und Freies enthalten, den Eingang verstattet.
    In Wien war die Aufführung des Don Carlos verboten, weil man dessen Liebe zu seiner Mutter Elisabeth nicht dulden wollte. In Schillers Jungfrau von Orleans machte man aus Agnes Sorel, Carls VII.

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