Ueber Deutschland
lateinischen Töchtersprachen ungemein schwer wurde; keine Gesellschaft; große Zusammenkünfte, die mehr einer Feierlichkeit als einem geselligen Vergnügen glichen; eine kriechende Höflichkeit gegen eine ungeglättete Aristokratie; Herzensgüte, Biedersinn in allen Classen, aber eine lächelnde Steifheit, die mit aller Zwanglosigkeit alle Würde verscheucht. Es dürfen uns also nicht die Urtheile, nicht die Spöttereien Wunder nehmen, die man sich über die deutsche Langeweile erlaubt hat. In einem Lande, wo die Gesellschaft so gar nichts, und die Natur so wenig ist, können nur die Sitze der Literatur, die gelehrten Städte, anziehend seyn.
Vielleicht würde man im südlichen Deutschland die Wissenschaften und schönen Künste mit eben so gutem Erfolge, als in Norddeutschland, getrieben haben, wenn die regierenden Fürsten sich für ihren Wachsthum warm interessirt hätten. Gleichwohl bleibt es ausgemacht, daß das gemässigte Clima der Geselligkeit günstiger ist als der Poesie. Ist ein Clima weder rauh noch schön, lebt man fort, ohne von Luft und Himmel etwas zu hoffen oder zu fürchten zu haben, so schränkt man gewöhnlich seine Beschäftigungen auf die positiven Rücksichten der Existenz ein. Soll die Einbildungskraft lebhaft erschüttert werden, so muß es durch die Reize des Süden, oder durch die Strenge des Norden geschehen. Die Macht der Schöpfung ist gleich groß über uns, wir mögen gegen die Natur ankämpfen, oder uns in ihren Gaben berauschen; beides erweckt in uns den Sinn für die schönen Künste, oder das innere Treiben der Seelengeheimnisse.
Das südliche Deutschland, in jeder Hinsicht gemäßigt, schleicht im eintönigen Wohlseyn dahin, und verbleibt in diesem Zustande, dem nachtheiligsten für die Thätigkeit im Handeln wie im Denken. Der lebhafteste Wunsch der Bewohner dieser ruhigen fruchtbaren Länderstrecke besteht darin, so fortzuleben, wie sie leben; und wozu führt dieser Wunsch, wenn er der einzige ist? Er reicht nicht einmal hin, dasjenige zu behalten, womit man sich begnügt.
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Sechstes Capitel. Oestreich.
[Dies Capitel über Oestreich ist im Jahr 1808 geschrieben.]
Die Literatoren im nördlichen Deutschland haben Oestreich der Nachlässigkeit in Wissenschaften und schönen Künsten beschuldigt. Man hat sich sogar die Art von Censurzwang in diesem Lande weit strenger gedacht, als sie in der That ist. Hat Oestreich in der Literatur gleich keine große Männer aufzuweisen, so darf man es nicht so sehr diesem Geisteszwang, als dem Mangel an Aufmunterung zuschreiben.
Oestreich ist ein so ruhiges Land, ein Land, wo der Wohlstand allen Classen von Einwohnern so sicher, so leicht gemacht wird, daß man sich nicht viel mit den intellectuellen Genüssen zu schaffen macht. Der Oestreicher thut mehr für die Pflicht als für den Ruhm; die Belohnungen der öffentlichen Meinung sind so unscheinbar, ihre Strafen so sanft, daß, ohne den Sporn des innern Bewußtseyns, es in diesem Lande in jeder Hinsicht keinen Grund geben würde, lebhaft zu handeln.
Kriegesthaten sollten das Hauptinteresse einer Monarchie ausmachen, die sich durch ununterbrochene Kriege hervorgethan; gleichwohl hatte sich die östreichische Nation so sehr der Ruhe und den Annehmlichkeiten des Lebens hingegeben, dass selbst die öffentlichen Begebenheiten nicht eher Aufsehen bei dem Volke machten, als bis sie den Patriotismus aufregten; und sogar dieses Gefühl ist ruhig in einem Lande, wo es nichts als Glückliche giebt. Man findet in Oestreich eine Menge Vortrefflichkeiten, aber wenig wahrhaft ausgezeichnete Männer, weil es dort wenig frommt, besser zu seyn als ein anderer; man wird nicht beneidet, wenn man es ist, wohl aber vergessen, welches noch niederschlagender ist. Der Ehrgeiz beharrt auf der Begierde, Stellen zu erhalten; das Genie ermüdet über sich selbst; das Genie, mitten in der Gesellschaft, ist ein Schmerz, ein inneres Fieber, das wie ein äußeres behandelt und geheilt werden mußte, wenn die Belohnungen des Ruhms nicht die Leiden versüßten, die er verursacht.
In Oestreich und im übrigen Deutschland werden alle Prozesse schriftlich geführt. Die Advocaten halten keine Reden. Die Predigten werden besucht, weil man an den Andachtsübungen hängt, allein die geistlichen Redner ziehen das Volk nicht durch ihre Beredsamkeit an. Die Schauspiele, besonders die Trauerspiele, werden wenig besucht. Die Staatsverwaltung ist eben so weise als gerecht; aber alles geschieht mit so viel
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