Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
ein merkwürdiges Kunst- oder Naturwerk hätte, woran die Erinnerungen der Kindheit haften. Dieses Interesse dürfte, dünkt mich, für die Wiener der Prater haben. Nirgends findet man so nahe bei der Stadt einen Spazierort, der zugleich und in gleichem Grade, die Schönheiten der wilden und der ausgeschmückten Natur vereinigte. Ein majestätischer Wald erstreckt sich von der Stadt bis zum Donauufer; von weitem sieht man ganze Rudel Hirsche über die Wiese hinziehen; mit jedem Morgen kehren sie wieder, mit jedem Abend entweichen sie, sobald die Schaar der Spazierenden ihre Einsamkeit stört. Ein Schauspiel, welches in Paris nur drei Tage im Jahre auf der Straße nach Longchamp stattfindet, wiederholt sich täglich in Wien, so lange das schöne Wetter anhält. Das tägliche Lustwandeln im Prater zu einer bestimmten Stunde, ist eine italienische Sitte.
    Eine solche Gleichförmigkeit im Vergnügen wäre in Paris, in einer Stadt und in einem Lande, wo die Vergnügungen so abwechselnd sind, unmöglich; die Wiener hingegen dürften, bei allem übrigen Lebenswechsel, dieser Ordnung nicht entsagen. Nichts ist übrigens reizender, als die ganze städtische Menge unter dem Schatten majestätischer Bäume und auf den Rasen, den die Donau beständig grün und frisch erhält, zerstreut und versammelt zu sehen. Alle Abende stellt sich hier die gute Gesellschaft zu Wagen, das Volk zu Fuß ein. In einem so ruhigen Lande wird das Vergnügen wie eine Pflicht behandelt, und führt noch obenein den Vorzug mit sich, daß man dessen, bei aller seiner Einförmigkeit, nicht müde wird. Man legt in die Zerstreuungen eben so viel Genauigkeit als in die Geschäfte, und verliert seine Zeit eben so methodisch als man sie benutzt.
    Der Eintritt in einen der Redoutensäle von Wien, wo an den Sonn- und Festtagen getanzt wird, hat für den Fremden etwas Auffallendes. Er sieht Männer und Frauen kalt und ernst einander gegenüber, das bestellte und bezahlte Vergnügen einer Menuet abtanzen. Hin- und Hergehende durchkreuzen das tanzende Paar; dieses läßt sich nicht mehr stören, als wenn es ein Gelübde zu erfüllen hätte; jedes von ihnen dreht sich allein, rechts, links, vor- und rückwärts, ohne sich um den Andern zu bekümmern, der es grade eben so macht; nur bisweilen stoßen sie einen kleinen Freudenruf aus, ziehen sich aber sogleich wieder in die ernsthaften Gesichtsfalten zurück.
    Im Prater fällt die Wohlhabenheit und der Wohlstand der Wiener vorzüglich auf. Die Stadt steht in dem Ruf, mehr Lebensmittel zu verbrauchen, als jede andere Stadt von gleicher Bevölkerung, und dieser etwas physische Vorzug dürfte ihr nicht streitig gemacht werden. Man sieht ganze Familien von Bürgern und Handwerkern gegen fünf Uhr Abends nach dem Prater ziehen, um im Grünen so reichlich zu vespern, als wäre es ein vollständiges Mittagsessen; das viele Geld, was dort verzehrt wird, beweiset, wie arbeitsam der Wiener, und wie sanft die Regierung ist. Alle Abende kehren die Männer bei Tausenden in die Stadt zurück, ihre Frauen am Arm, ihre Kinder bei der Hand führend; keine Unordnung, kein Streit erhebt sich in dem Gewirre; kaum hört man sie sprechen, so still und stumm ist ihr Vergnügen. Ihr Stillschweigen hat nichts weniger als eine gemächliche Traurigkeit zum Grunde; es ist weit eher eine Folge des physischen Wohlbehagens, das im südlichen Deutschland über Empfindungen, wie im nördlichen über Ideen, brüten läßt. Das Pflanzenleben im südlichen Deutschland hat einige Berührungspunkte mit dem innern Leben im nördlichen; in beiden liegt Ruhe, Trägheit und Nachdenken.
    Man denke sich einen Augenblick eine eben so große Anzahl Pariser an einem Orte versammelt; wie würde die Luft mit Witzfunken, mit Scherzen aller Art, mit Zank und Lärmen angefüllt seyn? Hat je der Franzose ein Vergnügen gehabt, in welches sich nicht die Eigenliebe auf diese oder jene Art eingedrängt hätte?
    Die Wiener Großen fahren in prächtigen, geschmackvollen, schön bespannten Kutschen spazieren; ihr ganzes Vergnügen besteht darin, in den Alleen des Praters, diejenigen wieder zu erkennen, die sie so eben in einer Gesellschaft verließen, aber die Mannigfaltigkeit der Gegenstände verhindert jede ruhige Erzeugung eines Gedankens, und die Menschen finden ein Wohlgefallen daran, auf diese Weise lästige Betrachtungen zu verscheuchen. Die östreichischen Großen, die reichsten und ältesten in Europa, mißbrauchen diese Vorzüge nicht, und geben zu, daß ihre

Weitere Kostenlose Bücher