Ueber Deutschland
über alle Einbildung. Ludwig brach der Unglücklichen das Herz, das nur für ihn geschlagen hatte. Zwanzig Jahre, in Thränen zugebracht, waren kaum hinreichend, die Wunden zu verharschen, die das grausame Betragen Ludwigs der Liebenden, der Verflossenen, geschlagen hatte. Nichts ist so grausam, als die Eitelkeit, und da nichts so sehr, als die Gesellschaft, der gute Ton, die Mode und Glück bei Frauen dazu dienen, die Eitelkeit aufzuregen, so giebt es kein Land, wo das Glück der Frauen größere Gefahr läuft, als Frankreich, weil dort alles von dem, was man die Meinung heißt, abhängt, weil dort jeder von Andern lernt, was man fühlen muß, um zu den Leuten von gutem Geschmack gerechnet zu werden.
Die Frauen haben endlich (leider muß ich's gestehen) den Entschluß gefaßt, Antheil an der Unmoralität zu nehmen, die ihren Thron umstieß. Seitdem sie am Werthe verloren, haben sie weniger gelitten. Gleichwohl hängt, bis auf wenige Ausnahmen, die Tugend der Frauen noch immer von dem Benehmen der Männer ab. Der Leichtsinn, den man ihnen Schuld giebt, entsteht aus ihrer Furcht, verlassen zu werden. Sie stürzen sich in die Schande, um der Beleidigung zu entgehen.
Die Liebe ist eine weit ernstere Leidenschaft in Deutschland als in Frankreich. Die Poesie, die schönen Künste, die Philosophie selbst und die Religion, haben aus dieser Empfindung eine Art von irdischem Gottesdienst gemacht, der einen edeln Reiz über das Leben verbreitet. Es hat in Deutschland nicht, wie in Frankreich, sittenlose Schriften gegeben, die von allen Volksklassen gelesen wurden, und die in der feineren Welt das Gefühl der Liebe, im Volke den Sinn für die Moralität zerstörten. Gleichwohl besitzen die Deutschen mehr Einbildungskraft als wahre Empfindsamkeit; ihre Rechtlichkeit allein bürgt für ihre Beständigkeit im Lieben. Die Franzosen haben im Allgemeinen Achtung für positive Pflichten; die Deutschen halten sich mehr durch ihre Herzensneigungen als durch ihre Pflichten gebunden. Was wir oben von der Leichtigkeit der Ehetrennungen gesagt haben, dienet zum Beweis; den Deutschen ist die Liebe heiliger als die Ehe. Ehrenvoll ist unstreitig für sie das Zartgefühl, welches sie Versprechungen treu erfüllen heißt, wozu das Gesetz sie nicht unverbrüchlich verpflichtet; gleichwohl sind für die bürgerliche Ordnung Gesetze wichtiger, die die Unauflöslichkeit der Ehen verbürgen.
Noch waltet und herrscht, wenn ich es so nennen darf, im leidenden Sinn, der Rittergeist unter den Deutschen. Sie sind unfähig zu betrügen; ihre Biederkeit findet sich in allen engeren Verhältnissen wieder; aber jene Kraft, welche von den Männern so große Opfer, von den Weibern .so große Tugenden erheischte und erhielt, und das ganze Leben, so zu sagen, zu Einem heiligen Werke bildete, in welchem immer nur Ein Gedanke vorwaltete; jene Ritterkraft und Energie der alten Zeiten hat in Deutschland nur eine verwischte Spur zurückgelassen. Alles Große, was hinfort in diesem Lande vollbracht wird, kann nur eine Folge des liberalen Antriebes seyn, der in Europa auf die Ritterzeiten gefolgt ist.
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Fünftes Capitel. Das südliche Deutschland.
Es wird ziemlich allgemein anerkannt, daß die Literatur blos in Norddeutschland zu Hause sey, und daß die Bewohner des Süden sich den Genüssen des physischen Lebens dahingeben, während die nördlichen Gegenden sich dem feineren Lebensgenuß überlassen. Manche genialische Köpfe sind zwar im Süden geboren, haben sich aber im Norden ausgebildet. Nicht weit von dem Baltischen Meere findet man die schönsten Anstalten, die ausgezeichnetsten Gelehrten und Schön-Geister; von Weimar bis Königsberg, von Königsberg bis Copenhagen scheint es, als sey Nebel und Frost das natürliche Element der Männer von starker und tiefer Einbildungskraft.
Kein Land bedarf so sehr der literarischen Beschäftigung als Deutschland; da die Geselligkeit in diesem Lande wenig Reiz darbietet, da es den Bewohnern größtentheils an der Grazie, an der Lebhaftigkeit fehlt, womit die Natur das wärmere Clima begabt, so folgt daraus, daß der Deutsche nur dann liebenswürdig ist, wenn er ein höherer Mensch ist, und daß er Genie haben muß, um geistreich zu seyn.
Franken, Schwaben, und, vor der Errichtung der berühmten Akademie zu München, auch Baiern, galten für schwerfällige einförmige Länder, wo es keine Künste gab, die Musik ausgenommen; wenig Literatur; eine rauhe Betonung, der die Aussprache der
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