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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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rechtmäßige Gemahlin. Die öffentliche Bibliothek durfte nicht Montesquieu's Geist der Gesetze zu lesen geben; aber bei allen diesem Geisteszwang befanden sich Crebillon's Romane in allen Händen; die unsittlichen Bücher wurden eingeschwärzt, die ernsthaften allein von der Gränzmauth aufgehalten
    Der Schade, den schlechte Bücher anrichten können, wird bloß durch den Nutzen ersetzt, den die guten hervorbringen. Die Nachtheile der Aufklärung werden von den Vortheilen einer höhern Aufklärung überwogen. Es giebt in allen Dingen zwei Wege einzuschlagen; entweder muß man das Gefährliche ausrotten, oder neue Widerstandskräfte herbeischaffen. Der zweite Weg ist der einzige, der für die Zeiten paßt, in welchen wir leben; da in unsern Tagen die Unschuld nicht mehr die Begleiterin der Unwissenheit seyn kann, so darf diese – die Uebelstifterin – nicht mehr geduldet werden. Es sind so viel Worte gesprochen, so viel Trugschlüsse wiederholt worden, daß man viel wissen muß, um richtig zu urtheilen; die Zeiten sind vorüber, wo man, im Fach der Ideen, sich mit dem Erbtheil seiner Väter begnügte. Folglich muß man darauf bedacht seyn, die Aufklärung nicht von sich zu stoßen, sondern sie zu sammeln, sie ganz aufzufangen, damit ihre gebrochene Strahlen kein falsches Licht verbreiten. Eine Regierung darf sichs nicht anmaßen, eine Nation dem Zeitgeiste ihres Jahrhunderts zu entziehen; dieser Geist enthält Elemente von Kraft und Größe, deren man sich mit Erfolg bedienen kann, sobald man kein Bedenken trägt, alle von ihm aufgestellte Fragen zu erörtern; alsdann findet man in ewigen Wahrheiten Hülfsmittel gegen vorübergehende Irrthümer, und in der Freiheit selbst, die Begründung der Ordnung und den Zuwachs der Gewalt.
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Siebentes Capitel. Wien.
    Wien liegt in einer Ebne, und wird von mehreren malerischen Hügeln umgeben. Die um- und durchströmende Donau theilt sich in mehrere Arme und bildet reizende Inseln, verliert aber, als Fluß, durch diese Abtheilungen viel von ihrer Würde, und bringt nicht den Eindruck hervor, zu welchem ihr alter Ruf zu berechtigen schien. Wien ist eine alte, ziemlich kleine Stadt, mit weitläuftigen Vorstädten. Man behauptet, die ehemals befestigte Stadt sey nicht größer, als sie es zur Zeit der Gefangennehmung Königs Richard Löwenherz war. Die Straßen sind eng wie in den italienischen Städten; die Paläste erinnern an Florenz, und nicht an Deutschland, ausgenommen einige alte gothische Gebäude, wodurch die Einbildungskraft in die Zeiten des Mittelalters zurückgeführt wird.
    Das vorzüglichste unter diesen Gebäuden ist der Thurm der Stephanskirche; er erhebt sich über alle übrigen Kirchthürme Wiens, und sieht majestätisch auf die gute ruhige Stadt herab, deren Menschengeschlechter und Ruhm er an sich vorüberziehen sah. Der Bau fing im Jahre 1100 an, und dauerte zwei ganze Jahrhunderte; die gesammte Geschichte Oestreichs schließt sich, so zu sagen, an dieses ehrwürdige Monument an. Es kann kein patriotischeres Gebäude geben, als eine Kirche; keines, welches alle Classen der Nation in seine Mauern sammle; keines, welches nicht nur die öffentlichen Begebenheiten, sondern die geheimsten Gedanken, die innigsten Gefühle der Staatshäupter und der Staatsbürger in sich schließe. Der Tempel der Gottheit scheint, wie die Gottheit selbst, verflossene Jahrhunderte zu vergegenwärtigen.
    Seit langen Zeiten ist das Grabmahl des Prinzen Eugen das einzige Monument, das in dieser Kirche errichtet wurde. Es harret auf mehrere Helden. Als ich es besuchte, fand ich an einer der umgebenden Säulen einen Zettel angeheftet, und darauf geschrieben: eine kranke junge Frau empfehle sich den Gebeten der Gläubigen. Der Name der Kranken stand nicht auf dem Zettel; eine Unglückliche wendet sich an Unbekannte, nicht Hülfe, sondern Gebete begehrend, und das einige Schritte von einem berühmten Todten, der vielleicht auch seinerseits Mitleiden gegen die Lebende fühlte. Es ist ein frommer Gebrauch der Römisch-katholischen, den wir von ihnen entlehnen sollten, die Kirchen beständig offen zu halten; es giebt der Augenblicke so viel, wo wir das Bedürfnis fühlen, an diese Zufluchtsorte zu eilen; nie treten wir in die Halle, ohne eine innere Rührung zu empfinden, die der Seele wohl thut, und derselben, wie vermittelst eines heiligen Bades, ihre vorige Kraft und Reinheit wiederschenkt.
    Es giebt keine große Stadt, welche nicht ein Gebäude, einen Spaziergang,

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