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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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wahren Grundsätze sind absolut: wenn zweimal zwei nicht vier macht, so sind die gründlichsten Berechnungen der Algebra abgeschmackt, und wenn es in der Theorie einen einzigen Fall giebt, wo der Mensch seine Pflicht aufopfern kann: so sind alle philosophischen und religiösen Maximen über den Haufen geworfen, und was übrig bleibt, ist ein Bodensatz von Klugheit und Heuchelei.
    Es sey mir erlaubt, das Beispiel meines Vaters anzuführen, weil es so unmittelbare Beziehung hat auf die Frage, die hier verhandelt wird. Man hat so oft wiederholt, daß Herr Necker die Menschen nicht kenne, weil er sich bei vielen Gelegenheiten den Mitteln der Bestechung und Gewaltthätigkeit versagte, deren Vortheile man für zuverlässig hielt. Ich wage die Behauptung, Niemand könne die Werke Herrn Neckers, seine Geschichte der französischen Revolution, die Abhandlung über die vollziehende Macht in den großen Staaten u.s.w. lesen, ohne in ihnen lichte Ansichten vom menschlichen Herzen zu finden; und von Allen, welche in einer vertrauten Verbindung mit Herrn Necker gelebt haben, wird mich keiner der Lüge zeihen, wenn ich sage, daß er sich, trotz seiner bewundernswürdigen Güte, gegen eine sehr lebendige Neigung zur Spötterei, und gegen eine vielleicht allzu strenge Manier über die Mittelmäßigkeit des Geistes oder des Gemüths abzuurtheilen, zu verwahren hatte. Was er über das Glück der Albernen geschrieben hat, ist hinreichend, dies zu beweisen. Indem er mit allen seinen übrigen Eigenschaften die eines Mannes von Geist in einem sehr hohen Grade verband, übertraf Niemand ihn in der feinen und tiefen Kenntniß Derer, mit welchen er in Verbindung stand; aber er hatte sich einmal, vermöge eines Acts seines Gewissens, zum Gesetz gemacht, vor den Folgen eines durch die Pflicht gebotenen Entschlusses nicht zurückzubeben, von welcher Beschaffenheit sie auch seyn möchten. Ueber die Ereignisse der Revolution kann man verschiedentlich urtheilen; aber ein unpartheiischer Beobachter derselben wird, glaub' ich, nicht läugnen können, daß ein solches Princip, in der höchsten Allgemeinheit angenommen, Frankreich vor allen den Uebeln bewahrt haben würde, unter welchen es geseufzet hat, und, was noch schlimmer ist, vor dem Beispiel, das von uns ausgegangen ist.
    Während der jammervollsten Epochen des Schreckens haben mehrere ehrliche Leute Aemter in der Verwaltung angenommen, sogar bei Criminal-Gerichtshöfen, entweder um darin Gutes zu stiften, oder um das Böse, das daselbst begangen wurde, zu vermindern; und alle stützten sich auf ein allgemein angenommenes Raisonnement, nemlich, daß sie einen Bösewicht verhinderten, in den Besitz eines von ihnen besetzten Postens zu kommen, und daß sie auf diese Art den Unterdrückten Dienste leisteten. Sich schlechte Mittel erlauben, um zu einem Zweck zu gelangen, den man für gut hält, ist eine in ihrem Princip durchaus fehlerhafte Maxime des Betragens. Die Menschen wissen nichts von der Zukunft, nichts von sich selbst, was den morgenden Tag vorgeht; unter allen Umständen, in allen Augenblicken des Lebens ist die Pflicht der Gebieter, und die Combinationen des Geistes über die vorherzusehenden Folgen, müssen in gar keinen Anschlag gebracht werden.
    Mit welchem Rechte behaupteten Menschen, welche die Werkzeuge einer factiösen Obrigkeit waren, den Titel rechtlicher Männer, weil sie das Ungerechte mit Milde thaten. Weit besser wäre es gewesen, wenn es mit rohem Ungestüm vollbracht worden wäre; denn alsdann hätte es sich schwerer ertragen lassen, und von allen Zusammenstellungen ist die eines blutigen Decrets und eines gutmüthigen Vollstreckers die verderblichste.
    Wie viel Gutes man auch im Einzelnen übe, nie wiegt es das Böse auf, das man dadurch stiftet, daß man der Parthei, welcher man dient, seinen Namen zum Stützpunkt leihet. Man muß es auf Erden laut sagen, daß man sich zur Tugend bekennet, damit nicht nur unsere Zeitgenossen, sondern auch die Bürger künftiger Jahrhunderte den Einfluß davon empfinden mögen. Das Uebergewicht eines muthigen Beispiels dauert noch Jahrhunderte fort, wenn die Gegenstände eines flüchtigen Erbarmens längst verschwunden sind. Die Lehre, welche man den Leuten in dieser Welt, vorzüglich in der Bahn des öffentlichen Lebens, geben muß, ist: „keiner Betrachtung Raum zu geben, wenn es auf Erfüllung der Pflicht ankommt."
    Alles ist verloren, wenn man erst anfängt, mit den Umständen zu unterhandeln; denn wer befände sich wohl nicht in

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