Ueber Deutschland
Vaterlande nützlich seyn. Diese Nützlichkeit ist fast immer ein pompöser Name, womit man seinen persönlichen Vortheil bekleidet.
Die Kunst der Sophisten bestand immer darin, die Pflichten einander entgegen zu setzen. Man hört nicht auf, Umstände zu erdenken, in welchen diese abscheuliche Verwickelung Statt finden könnte. Der größte Theil der dramatischen Dichtungen ist hierauf gegründet. Das wirkliche Leben ist indeß weit einfacher. Hier sieht man oft die Tugenden im Kampf mit den Vortheilen; aber vielleicht ist es wahr, daß ein rechtlicher Mann nie bei irgend einer Veranlassung über das, was die Pflicht gebot, in Zweifel war. Zwar ist das Gewissen so zart, daß man es leicht ersticken kann; aber es ist zugleich so rein, daß es unmöglich ist, seine Stimme zu verkennen.
Eine bekannte Maxime enthält in höchst einfacher Form die ganze Theorie der Moral: Thue, was die Pflicht fordert, entstehe daraus, was da wolle. Stellt man im Gegentheil fest, die Rechtschaffenheit eines Staatsmannes bestehe darin, den zeitlichen Vortheilen seiner Nation Alles aufzuopfern: so können sich viele Gelegenheiten darbieten, wo man aus Moralität unmoralisch werden müßte. Dies Sophisma ist im Wesen eben so widerspruchsvoll, wie in der Form: denn dies hieße, die Tugend wie eine Vermuthungswissenschaft behandeln, welche in ihrer Anwendung gänzlich den Umständen unterthan ist. Bewahre doch Gott das menschliche Herz vor einer solchen Verantwortlichkeit! Die Aufklärung unseres Verstandes ist allzu unsicher, als daß wir im Stande wären, über den Augenblick zu urtheilen, wo die ewigen Gesetze der Pflicht außer Kraft gesetzt werden könnten. Oder vielmehr, dieser Augenblick existirt nicht.
Wenn es einmal allgemein anerkannt wäre, daß selbst das National-Interesse sich den erhabenen Gedanken, aus welchen die Tugend besteht, untergeordnet sey, wie leicht würde dann dem Gewissenhaften zu Muthe seyn! Wie würde ihm in der Politik alles klar werden, während bis dahin ein ewiges Zagen ihn bei jedem Schritte zittern machte! Dies Zagen gerade hat bewirkt, daß man alle ehrlichen Leute, als der Staatsgeschäfte unfähig, betrachtet hat; man beschuldigte sie der Kleinmüthigkeit, der Bangigkeit, der Furcht, und nannte dagegen Solche, welche den Schwachen dem Mächtigen, und ihre Bedenken ihrem Vortheil leichtsinnig aufopferten, energische Männer. Indeß ist das eine leichte Energie, welche nur auf unseren Vortheil abzweckt, oder auch aus den Vortheil einer herrschenden Faction; denn alles, was in dem Sinn der großen Menge gethan wird, ist immer Schwäche, wie kräftig es auch scheinen möge.
Mit lautem Geschrei fordert das menschliche Geschlecht, daß man seinem Vortheil Alles aufopfere, und giebt dabei eben diesen Vortheil dadurch preis, daß es ihm Alles opfern will. Aber es dürfte endlich Zeit seyn, ihm zu sagen, daß selbst sein Glück, das man so oft als Deckmantel gebraucht hat, nur in seinem Verhältnisse zur Moral geheiligt ist; denn was werden ohne diese Alle Jedem Einzelnen verschlagen? Hat man einmal gesagt, daß man die Moral dem National-Interesse aufopfern müsse, so ist man nahe daran, das Wort Nation immer enger und enger zu nehmen, und erst seine Anhänger, dann seine Freunde, und zuletzt seine Familie daraus zu machen, welches nur ein anständiger Ausdruck ist, um sich selbst zu bezeichnen.
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Vierzehntes Capitel. Von dem Moralprincip in der neuen deutschen Philosophie.
Die idealistische Philosophie zweckt ihrer Natur nach auf Widerlegung derjenigen Moral ab, welche auf besonderen oder National-Vortheil gegründet ist; sie giebt nicht zu, daß das zeitliche Glück der Zweck unseres Daseyns sey, und indem sie alles auf das Leben des Gemüths zurückführt, bezieht sie unsere Handlungen und unsere Gedanken auf die Uebung der Willenskraft und der Tugend. Die Werke Kants, deren Gegenstand die Moral ist, haben wenigstens einen eben so großen Ruf, wie die, welche er über die Metaphysik geschrieben hat.
Zwei verschiedene Neigungen, sagt er, offenbaren sich im Menschen: der persönliche Eigennutz, welcher aus dem Sinnenreiz herstammt, und die allgemeine Gerechtigkeit, welche auf seinen Verhältnissen mit dem menschlichen Geschlechte und mit der Gottheit beruht. Zwischen diesen beiden Bewegungen entscheidet das Gewissen. Mit diesem verhält es sich, wie mit der Minerva, welche der Waage den Ausschlag gab, wenn die Stimmen im Areopagus getheilt waren. Haben die am meisten
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