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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Die französischen Philosophen haben die Moral ungemein dürftig gemacht, indem sie alles auf den persönlichen Eigennutz bezogen haben. Einige deutsche Metaphysiker sind zu demselben Resultat gelangt, indem sie gleichwol ihre ganze Lehre auf Aufopferungen stützten. Weder die Systeme der Materialisten, noch die abstrakten Systeme vermögen einen vollständigen Begriff von der Tugend zu geben.
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Sechszehntes Capitel. Jacobi.
    Es ist schwer, in irgend einem Lande auf einen Gelehrten von ausgezeichneterem Wesen zu stoßen, als Jakobi's Wesen ist; denn mit allen Vorzügen der Gestalt und des Glücks hat er sich, von Jugend an, seit 42 Jahren dem Nachdenken gewidmet. Gewöhnlich ist die Philosophie ein Trost oder ein Asyl; aber wer sie wählt, wenn alle Umstände ihm große Erfolge in der Welt verheißen, verdient nur um so größere Achtung. Von seinem Charakter zur Anerkennung der Macht des Gefühls hingezogen, hat sich Jacobi mit abstrakten Ideen beschäftigt, besonders um ihre Unzulänglichkeit darzuthun. Seine Schriften über die Metaphysik werden in Deutschland sehr geschätzt; indeß ist sein Ruf als großer Moralist am meisten verbreitet.
    Er war der Erste, der die auf den Eigennutz gegründete Moral bestritt, und indem er der seinigen ein philosophisch betrachtetes religiöses Gefühl zum Princip gab, bildete er eine von der Kantischen verschiedene Lehre, sofern jene alles auf das unbeugsame Gesetz der Pflicht bezieht; und eben so verschieden war seine Lehre von der der neuen Metaphysiker, welche, wie ich bemerkt habe, das Mittel suchen, die wissenschaftliche Strenge auf die Theorie der Tugend anzuwenden.
    Schiller sagt in einem Epigramm auf das Kantische Moral-System: Es macht mir Freude, meinen Freunden zu dienen; es ist mir angenehm, meine Pflichten zu erfüllen; nur das beunruhigt noch, daß ich alsdann nicht tugendhaft bin. Dieser Spott schließt einen tiefen Sinn in sich; denn, obgleich das Glück nie der Zweck der Pflichterfüllung seyn darf: so ist doch die innere Zufriedenheit, welche sie verursacht, gerade das, was man die Seligkeit der Tugend nennen kann. Dies Wort (Seligkeit) hat etwas von seiner Würde verloren; aber man muß sich seiner wieder bedienen, denn man ist genöthigt, die Art von Eindrücken zu bezeichnen, welche die Glückseligkeit, oder wenigstens das Vergnügen, einem sanfteren und reineren Gemüthszustande aufopfern macht.
    In Wahrheit, wenn das Gefühl nicht die Moral unterstützt, wie würde sie wohl Gehorsam finden? Wie will man, wenn es nicht durch das Gefühl geschieht, die Vernunft und den Willen vereinigen, so oft dieser Wille unsere Leidenschaften zur Nachgiebigkeit bewegen soll? Ein deutscher Denker hat gesagt: „es gebe keine andere Philosophie, als die christliche Religion;" und wahrlich, er hat es nicht gesagt, um die Philosophie auszuschließen, sondern nur, weil er überzeugt war, daß die höchsten und die tiefsten Ideen zur Entdeckung der wunderbaren Übereinstimmung dieser Religion mit der Natur des Menschen führen. Zwischen diesen beiden Klassen von Moralisten, von welchen die eine, nemlich die Kantische, alle Handlungen auf unveränderliche Vorschriften bezieht, die andere, nemlich die Jacobische, verlangt, daß alles der Entscheidung des Gefühls überlassen werden müsse, — zwischen diesen Klassen, sag' ich, scheint das Christenthum den Wunderpunkt anzugeben, wo das positive Gesetz nicht die Eingebung des Herzens, und diese nicht das positive Gesetz ausschließt.
    Jacobi, der so viel Ursache hat, der Reinheit seines Gewissens zu vertrauen, hat es mit Unrecht zu einem Princip erhoben, daß man sich gänzlich aus den Rath verlassen kann, den die Bewegung des Herzens giebt; die Trockenheit einiger unduldsamen Schriftsteller, welche weder Modification, noch Nachsicht in der Anwendung einiger Vorschriften gestatten, hat Jacobi'n in das entgegengesetzte Aeußerste geworfen.
    Sind die französischen Moralisten einmal strenge, so sind sie es in einem so hohen Grade, daß sie den individuellen Charakter des Menschen vernichten; im Geiste der Nation liegt die Liebe für alles, was Gewalt heißt. Die deutschen Philosophen, vorzüglich aber Jacobi, achten das, was die besondere Existenz eines jeden Wesens konstituirt, und beurtheilen die Handlungen nach ihrer Quelle, d. h. nach dem guten oder bösen Antrieb, der sie verursacht hat. Es giebt tausend Mittel, ein sehr böser Mensch zu seyn, ohne irgend ein hergebrachtes Gesetz zu verletzen; gerade

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