Ueber Deutschland
Dürftigkeit des Gemüths, als ein gutes und wahres Genie in dem Roman Woldemar Lagen schuf, wo jede Person das Gefühl durch das Gefühl aufopferte, und recht geflissentlich einen Grund sucht, nicht zu lieben, was sie liebt. Allein Jacobi, der von Jugend an eine lebendige Neigung für alle Arten des Enthusiasmus empfunden hatte, suchte in den Verbindungen des Herzens einen romanhaften Mysticismus, den er geistreich genug dargestellt hat, der aber unnatürlich bleibt.
Mir kommt es vor, als wenn Jacobi die Liebe weniger kennt, als die Religion, weil er beide verschmelzen will; es ist aber nicht an dem, daß die Liebe, wie die Religion, ihr ganzes Glück in der Verläugnung des Glücks selbst finden kann. Man verdirbt die Idee, die man von der Tugend haben muß, wenn man sie in eine Exaltation ohne Zweck, und in Opfer ohne Nothwendigkeit setzt. Alle Personen in Jacobi's Roman kämpfen unaufhörlich aus Großmuth auf Kosten der Liebe; und doch geschieht dies im Leben beinahe gar nicht, und in sich selbst ist es nicht einmal schön, wenn die Tugend es nicht fordert. Denn starke und leidenschaftliche Gefühle ehren die menschliche Natur, und die Religion ist nur deshalb so erhaben, weil sie über dergleichen Gefühle triumphiren kann. Hätte Gott wohl nöthig gehabt, zu unseren Herzen zu reden, wenn er in denselben nur schwache Zuneigungen gefunden hätte, auf welche man so leicht verzichten kann?
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Achtzehntes Capitel. Von der romanhaften Stimmung in den Zuneigungen des Herzens.
Die englischen Philosophen haben, wie bemerkt worden ist, die Tugend auf das Gefühl, oder vielmehr auf den moralischen Sinn gegründet. Aber dieses System hat nichts zu schaffen mit der sentimentalen Moralität, von welcher hier die Rede ist; eine Moralität, deren Benennung und Idee nur in Deutschland angetroffen wird, und nichts philosophisches in sich schließt. Sie macht nur die Empfindsamkeit zur Pflicht, und führt zur Misachtung Derer, die sie nicht haben.
Unstreitig ist das Vermögen, zu lieben, der Moral und der Religion sehr nahe verwandt; und so ist es möglich, daß unsere Abneigung von frostigen und harten Gemüthern ein erhabener Instinkt sey, ein Instinkt, welcher uns vorhersagt, daß Wesen dieser Art, selbst wenn ihr Betragen achtungswerth ist, nur mechanisch und aus Berechnung handeln, ohne daß gleichwol zwischen ihnen und uns jemals irgend eine Sympathie Statt finden könne. In Deutschland nun, wo man alle Eindrücke auf Vorschriften zurückbringen will, hat man als unmoralisch betrachtet, was nicht empfindsam und sogar romanhaft war. Werther hatte die exaltirten Gefühle so sehr in Gang gebracht, daß beinahe Niemand gewagt hätte, sich trocken und kalt zu zeigen, selbst wenn dies sein natürlicher Charakter gewesen wäre. Daher der erzwungene Enthusiasmus für den Mond, die Wälder, die Fluren und die Einsamkeit; daher die Nerven-Uebel, die erkünstelten Töne der Stimme, die Blicke, die gesehen seyn wollen, und mit einem Wort, die ganze Rüstkammer von Empfindsamkeit, welche starke und aufrichtige Gemüther verschmähen.
Der Urheber von Werthers Leiden hat zuerst über diese Affectationen gespottet. Indeß, da es einmal in allen Ländern Lächerlichkeiten geben muß, ist es vielleicht besser, daß sie in einer etwas einfältigen Uebertreibung dessen, was gut ist, als in einer eleganten Ansprüchigkeit auf das Böse bestehen. Der Wunsch nach glücklichem Erfolg ist unüberwindlich in Männern, er ist es noch mehr in Weibern; und deshalb sind die Ansprüche der Mittelmäßigkeit ein zuverlässiges Kennzeichen des zu gewissen Zeiten und in gewissen Gesellschaften herrschenden Geschmacks. Dieselben Personen, welche in Deutschland für empfindsam gelten wollten, würden sich anderwärts leichtsinnig und hochfahrend gezeigt haben.
Die ungemeine Empfindlichkeit des Charakters der Deutschen ist eine von den großen Ursachen der Wichtigkeit, welche sie auf die unbedeutendsten Abstufungen des Gefühls legen; und diese Empfindlichkeit steht oft mit der Wahrheit der Affectionen in genauer Verbindung. Es ist nicht schwer, fest zu seyn, wenn man nicht gefühlvoll ist; die einzige Eigenschaft, deren es alsdann bedarf, ist der Muth; denn die wohlgeordnete Strenge muß bei sich selbst anfangen. Aber wenn die Beweise von Theilnahme, die Andere uns verweigern oder geben, auf das Glück einfließen: so ist es unmöglich, daß man in seinem Herzen nicht unendlich mehr Reizbarkeit habe, als Diejenigen, die ihre
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