Ueber Deutschland
wie man eine abscheuliche Tragödie schreiben kann, indem man alle Regeln und alle theatralischen Schicklichkeiten beobachtet. Ist das Gemüth ohne natürlichen Schwung: so möchte es gern wissen, was man in jeder gegebenen Lage zu sagen und zu thun hat, um weder sich selbst, noch Anderen etwas schuldig zu bleiben, indem es sich dem unterwirft, was einmal verordnet ist. Indeß kann das Gesetz weder in der Moral, noch in der Poesie etwas mehr lehren, als was man nicht thun muß, und in allen Dingen wird das Gute und Erhabene uns nur durch die Göttlichkeit des Herzens offenbart.
Die öffentliche Nützlichkeit, so wie ich sie in den vorhergehenden Capiteln entwickelt habe, konnte durch die Moralität zur Immoralität führen. In Privat-Verhältnissen hingegen kann ein ganz vollkommenes Betragen — vollkommen nach dem Urtheil der Welt — von einem bösen Princip herrühren, d. h. es ist möglich, daß dieses Betragen mit etwas Dürrem, Gehässigem und Mitleidslosen in Verbindung steht. Die natürlichen Leidenschaften und die überwiegenden Talente misfallen Denjenigen, die man allzu leichtsinnig mit der Benennung von Strengen beehrt: sie bemächtigen sich ihrer Moralität, die, ihrem Vorgeben nach, von Gott kommt, wie ein Feind den Degen des Vaters nehmen würde, um die Kinder damit zu verwunden.
Indeß wird Jacobi von seinem Abscheu vor der Unbeugsamen Strenge des Gesetzes zu weit geführt, indem er sich davon befreien möchte. „Ja“, sagt er, „ich würde wie die sterbende Desdemona lügen [Um ihrem Gemahl die Schande und die Gefahr des von ihm so eben begangenen Verbrechens zu ersparen, erklärt Desdemona im Sterben, daß sie sich selbst getödtet hat.] ; ich würde täuschen, wie Orestes, als er an der Stelle seines Pylades sterben wollte; ich würde ermorden, wie Timoleon; ich würde falsch schwören, wie Epaminondas und wie Johann de Witt; ich würde mich zum Selbstmord bestimmen, wie Cato; ich würde Tempelraub begehen, wie David: denn ich trage die Gewißheit in mir, daß der Mensch, indem er solchen Vergehungen nach den Buchstaben verzeiht, das souveräne Recht übt, welches die Majestät seines Wesens ihm verleiht; das Siegel seiner Würde, das Siegel seiner göttlichen Natur drückt er auf die Gnade, die er widerfahren läßt."
„Wollt ihr ein allgemeines und streng wissenschaftliches System feststellen: so müßt ihr diesem System, welches das Leben versteinert hat, das Gewissen unterwerfen; dies Gewissen muß taub, stumm und unempfindlich werden; seine letzten Wurzeln müssen ausgerauft werden, d. h. das Herz des Menschen selbst. Ja, gerade so wie eure metaphysischen Formeln auch den Apoll und die Musen ersetzen, eben so müßt ihr euer Herz zum Schweigen bringen, um euch euren Gesetzen ohne Ausnahme zu unterwerfen, und den starren und knechtischen Gehorsam anzunehmen, den sie verlangen. Dann wird das Gewissen dazu dienen, euch wie ein Professor vom Lehrstuhl zu lehren, was in der Außenwelt wahr ist, und dieser innere Leuchtthurm wird nur allzu bald zu einer hölzernen Hand werden, die auf Heerstraßen den Reisenden den Weg anzeigt."
Jacobi ist von seinen eigenen Gefühlen so gut geleitet worden, daß er vielleicht nicht hinlänglich an die Folgen dieser Moral für den gemeinen Menschenschlag gedacht hat. Denn was soll man Denen antworten, die, indem sie sich von der Pflicht entfernen, behaupten könnten, sie folgten nur den Bewegungen ihres Gewissens? Unstreitig wird man die Entdeckung machen, daß sie Heuchler sind, indem sie also sprechen; aber man hat ihnen das Argument gegeben, womit sie sich rechtfertigen können, was sie auch thun mögen; und es ist für die Menschen genug, wenn sie ihr Betragen durch Phrasen beschönigen können. Erst betrügen sie Andere damit, und zuletzt sich selbst.
Will man sagen: diese unabhängige Lehre passe sich nur für wahrhaft tugendhafte Charaktere? Es darf keine Privilegien geben, selbst für die Tugend nicht; denn von dem Augenblick an, wo sie dergleichen verlangt, hat sie aller Wahrscheinlichkeit nach schon aufgehört, dergleichen zu verdienen. Im Gebiete der Pflicht herrscht eine erhabene Gleichheit, und in dem Innern des menschlichen Herzens geht etwas vor, was ihm, wenn er aufrichtig will, die Mittel giebt, allen Eingebungen des Enthusiasmus genug zu thun, ohne aus den Schranken des christlichen Gesetzes herauszutreten, welches auch das Werk eines heiligen Enthusiasmus ist.
Kants Lehre kann in der That als allzu trocken betrachtet werden, weil er der
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