Ueber Deutschland
kommt uns vor, als enthülle man uns wunderbare Geheimnisse, um die Seele für immer von Mattigkeit und Verfall zu befreien. Wenn wir den gestirnten Himmel betrachten, wo Lichtfunken Weltkörper sind, wie der von uns bewohnte, wo der Glanzstaub der Milchstraße uns in Welten eine Bahn durch das Firmament zeigt, so verliert sich unser Gedanke ins Unendliche, so schlägt unser Herz für das Unbekannte, Unermeßliche, so fühlen wir, daß unser wahres Leben erst jenseits dieser irdischen Erfahrungen beginnen wird. Kurz, mehr als alle übrigen Bewegungen, wecken die religiösen, das Gefühl des Unendlichen; aber, es weckend, befriedigen sie es auch, und aus diesem und keinem anderen Grunde sagte ein Mann von großem Geiste: „die denkende Creatur werde erst dann glücklich, wenn die Idee des Unendlichen für sie, statt der Last, ein Genuß geworden sey."
In Wahrheit, erst dann athmen wir frei, wenn wir uns ganz den Betrachtungen, den Bildern, den Verlangen hingeben, welche über die Gränzen der Erfahrung hinausgehen. Will man stehen bleiben bei den Interessen, Uebereinkommen und Gesetzen dieser Welt: so werden Genie, Empfindsamkeit und Begeisterung zu Martern für unsere Seele; wogegen sie dieselben mit Entzücken überströmen, wenn man sie dem Andenken und der Erwartung des Unendlichen weihet, das sich in der Metaphysik unter der Gestalt angeborner Anlagen, in der Tugend unter der Gestalt der Demuth, in den Künsten unter der des Ideals und in der Religion selbst unter der der göttlichen Liebe darstellt.
Das wahrhaftige Attribut der Seele ist das Gefühl des Unendlichen: alles, was schön ist, es sey in welcher Art es wolle, weckt in uns die Hoffnung und das Verlangen einer ewigen Zukunft und eines erhabenen Daseyns; ohne von Religion und Glauben an Unsterblichkeit durchdrungen zu seyn, kann man weder das Säuseln des Windes in Wäldern, noch die entzückenden Akkorde menschlicher Stimmen vernehmen, kann man den Zauber der Beredtsamkeit oder der Poesie nicht empfinden, kann man, vor allen Dingen, nicht mit Unschuld, mit Tiefe, lieben.
Alle Opfer des persönlichen Vortheils rühren von dem Bedürfniß her, sich mit diesem Gefühl des Unendlichen, dessen Zauber man empfindet, ohne ihn beschreiben zu können, in Harmonie zu setzen. Wäre die Macht der Pflicht in den engen Raum dieses Lebens eingeschlossen, wie könnte sie alsdann über unsere Seele eine größere Herrschaft ausüben, als die Leidenschaften? Wer würde das Begränzte dem Begränzten opfern? „Was da endigt, ist so kurz," sagt der heilige Augustin. Die Augenblicke, des Genusses, welche irdische Neigungen gewähren können, und die Tage des Friedens, welche ein moralisches Betragen sichert, würden sich sehr wenig von einander unterscheiden, wenn in dem Herzen dessen, der sich der Tugend weihet, nicht Gefühle lebten, die sich mit keinen Schranken, keinen Gränzen vertragen.
Viele werden dies Gefühl des Unendlichen bestreiten. Diese befinden sich auf einem herrlichen Boden für diesen Kampf; denn es ist unmöglich, es ihnen zu erklären; was das Universum ihnen nicht sagt, das werden ein Paar Worte mehr ihnen nicht deutlich machen können. Aber die Natur hat das Unendliche mit verschiedenen Symbolen bekleidet, die es bis zu uns gelangen lassen. Das Licht und die Finsterniß, der Sturm und die Stille, das Vergnügen und der Schmerz, Alles flößt dem Menschen jene universelle Religion ein, deren Heiligthum das Herz ist.
Herr Ancillon, ein Mann, von welchem ich zu reden schon Gelegenheit gehabt habe, hat so eben über die neue Philosophie Deutschlands ein Werk herausgegeben, welches das Lichtvolle des französischen Geistes mit der Tiefe des deutschen Genius vereinigt. Als Geschichtschreiber hat sich Herr Ancillon bereits einen Namen gemacht. Er ist unwidersprechlich, was man in Frankreich einen guten Kopf zu nennen pflegt. Sein Geist selbst ist positiv und methodisch, aber mit seinem Gemüth hat er Alles gefaßt, was der Gedanke des Unendlichen Großes und Erhabenes darbieten kann. Was er über diesen Gegenstand geschrieben hat, ist durchaus originell; es ist gewissermaßen das Erhabene in dem Bereich der Logik. Mit Genauigkeit zieht er die Linie, wo die Erfahrungskenntniße, sey es in den Künsten, oder in der Philosophie, oder in der Religion, Halt machen. Er zeigt, daß das Gefühl viel weiter reicht, als die Kenntnisse, und daß es jenseits der demonstrativen Beweise, natürliche Evidenz, jenseits der Analyse, Eingebung, jenseits der Worte,
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