Ueber Deutschland
und die Freuden der Einbildungskraft? Den Gläubigen sind viele Handlungen empfohlen, damit die Religion in allen Augenblicken des Tages durch die Verbindlichkeiten, welche sie auflegt, zurückgerufen werde. Aber würde es nicht besser seyn, wenn das ganze Leben ohne Anstrengung und auf eine ganz natürliche Weise ein Gottesdienst wäre? Da die Bewunderung für das Schöne sich immer auf die Göttlichkeit, und der Flug erhabener Gedanken uns zu unserm Ursprunge zurückführt: warum sollten die Macht zu lieben, die Poesie, die Philosophie nicht die Säulen des Glaubenstempels seyn?
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Zweites Capitel. Von dem Protestantismus.
Nur bei den Deutschen sollte eine durch Ideen bewirkte Revolution Statt finden; denn der hervorspringende Zug dieser sinnigen Nation ist die Stärke der innern Ueberzeugung. Wenn eine Meinung sich einmal der deutschen Köpfe bemächtigt hat, so machen ihre Geduld und Beharrlichkeit der Willenskraft im Menschen ungemeine Ehre.
Lieset man die Geschichte des Todes von Johann Huß und Hieronymus von Prag, diesen Vorläufern der Reformation, so sieht man ein auffallendes Beispiel von dem, was die Urheber des Protestantismus in Deutschland charakterisirt, ich meine die Vereinigung eines lebendigen Glaubens mit dem Geiste der Forschung. Ihre Vernunft hat weder ihrem Glauben, noch der Glaube ihrer Vernunft Abbruch gethan, und ihre sittlichen Fähigkeiten haben immer beisammen gewirkt.
Allenthalben findet man in Deutschland Spuren von verschiedenen Religionskämpfen, welche, mehrere Jahrhunderte hindurch, die ganze Nation beschäftigt haben. In der Kathedralkirche von Prag zeigt man noch halberhobene Arbeit, wodurch die von den Hussiten verübten Zerstörungen dargestellt werden, und der Theil der Kirche, den die Schweden während des dreißigjährigen Krieges in Brand steckten, ist noch jetzt nicht wieder aufgebaut. Nicht fern von da, auf der Brücke, steht die Bildsäule des heiligen Johann Nepomuck, der lieber in den Wellen sterben, als die Fehltritte, welche eine unglückliche Königin ihm gebeichtet hatte, bekannt werden lassen wollte. Die Denkmäler, und selbst die Trümmer, welche den Einfluß der Religion auf die Menschen bestätigen, nehmen unser Gemüth lebhaft in Anspruch; denn die Meinungskriege bringen den Nationen weit mehr Ehre, alsd ie Kriege aus Eigennutz.
Von allen großen Männern, welche Deutschland hervorgebracht hat, ist Luther gerade der, dessen Charakter am meisten deutsch war: seine Festigkeit hatte etwas Rohes; seine Ueberzeugung reichte bis zum Eigensinn; sein Geistesmuth war in ihm das Princip des Muths zum Handeln; die Leidenschaftlichkeit seines Gemüths zog ihn nicht ab von abstracten Studien, und ob er gleich gewisse Misbräuche und gewisse Dogmen als Vorurtheile angriff, so war es doch nicht sowohl eine philosophische Ungläubigkeit, als ein ihm eigenthümlicher Fanatismus, was ihn begeisterte.
Gleichwohl hat die Reformation die Forschung in Sachen der Religion zur Welt gebracht. Entstanden ist daraus für Einige die Zweifelsucht, für Andere aber eine sestere Ueberzeugung von religiösen Wahrheiten. Der menschliche Geist hatte einen Zeitpunkt erreicht, wo er, um zu glauben, nothwendig untersuchen mußte. Die Entdeckung der Buchdruckerei, die Vervielfältigung der Einsichten, die philosophische Aufsuchung der Wahrheit, gestatteten nicht länger den blinden Glauben, bei welchem man sich sonst so wohl befunden hatte. Nur durch Forschung und Nachdenken konnte die religiöse Begeisterung wieder angefrischt werden. Luther war es, der die Bibel und das Evangelium in Jedermanns Hände brachte. Er gab den Antrieb zum Studium des Alterthums; denn indem man Hebräisch lernte, um die Bibel, und Griechisch, um das neue Testament zu lesen, bearbeitete man die alten Sprachen, wendeten sich die Geister nach historischen Untersuchungen.
Die Forschung mag jenen Gewohnheitsglauben schwächen, den die Menschen wohlthun, so lange beizubehalten, als sie können; aber wenn der Mensch aus der Forschung religiöser hervortritt, als er vorher war, nur dann wird die Religion auf eine unveränderliche Weise begründet, dann ist Friede zwischen ihr und der Aufklärung, dann dienen sie sich gegenseitig.
Einige Schriftsteller haben gegen die Lehre von der Vervollkommnungsfähigkeit geeifert, und wenn sie Recht hätten, so würde dieser Glaube eine wahre Abscheulichkeit seyn. In Frankreich braucht nur Der und Der eine gewisse Meinung zu behaupten, und es ist sogleich
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