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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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Ideen, jenseits der Ideen, innere Bewegungen giebt, und daß das Gefühl des Unendlichen, eine Thatsache des Gemüths, eine ursprüngliche Thatsache ist, ohne welche in dem Menschen nur physischer Instinkt und Berechnung angetroffen werden würde.
    Es ist schwer religiös zu seyn in der Manier gewisser trockner Geister, oder auch gutmüthiger Menschen, welche die Religion so gern zu den Ehren wissenschaftlicher Demonstration gelangen lassen möchten. Was das Geheimniß des Daseyns so innig berührt, kann nicht durch die regelmäßigen Formen des Wortes ausgedrückt werden. In Dingen dieser Art dient das Raisonnement nur, zu zeigen, wo das Raisonnement endigt; und gerade da, wo es endiqt, hebt die wahrhaftige Gewißheit an: denn die Wahrheiten des Gefühls haben mehr Stärke, die unser ganzes Wesen zu ihrer Untersuchung auffordert; das Unendliche wirkt erhebend auf das Gemüth und befreit es, von den Banden der Zeit.
    Das ganze Lebensgeschäft besteht dann, daß wir die Interessen unseres flüchtigen Daseyns der Unsterblichkeit aufopfern, die, wenn wir ihrer würdig sind, für uns sogleich anhebt; und nicht blos haben die meisten Religionen eben diesen Zweck, sondern auch die schönen Künste, die Poesie, der Ruhm, die Liebe, sind Religionen, in welche mehr oder weniger Zusatz gebracht wird. Der Ausdruck: das ist göttlich ist in Gang gekommen, um die Schönheiten der Natur und Kunst zu rühmen; und dieser Ausdruck ist bei den Deutschen Glaubensformel. Sie sind tolerant — nicht aus Gleichgültigkeit, sondern weil ihre Empfindungsweise und ihre Religion Universalität in sich schließt. In Wahrheit, Jeder kann unter den Wundern der Welt dasjenige finden, was am mächtigsten zu seiner Seele spricht. Dieser bewundert die Göttlichkeit in den Zügen eines Vaters, ein Anderer in der Unschuld eines Kindes, noch ein Anderer in dem himmlischen Blick der Jungsfauen Raphaels, in der Musik, der Poesie, der Natur; alles gleich viel, denn alle verstehen sich, wenn sie von dem religiösen Princip — dem Genius der Welt und jedes einzelnen Menschen — belebt sind. Starke Geister haben über das Eine oder das andere Dogma Zweifel erhoben; und es war ein großes Unglück, daß eine feine Dialektik oder die Forderungen der Eigenliebe das Gefühl des Glaubens stören oder erkälten konnten. Bisweilen fühlte sich auch die Betrachtung gezwängt in jenen unduldsamen Religionen, aus welchen man, so zu sagen, einen Straf-Codex gemacht hatte, und welche der Theologie alle Formen einer despodischen Regierung gaben. Aber wie erhaben ist der Cultus, der uns einen himmlischen Genuß gewährt in der Eingebung des Genie's, wie in der verborgensten Tugend, in den zärtlichsten Affectionen, wie in den bittersten Schmerzen, in dem Sturm, wie in der schönsten Witterung, in der Blume, wie in der Eiche, mit einem Worte, in allem nur nicht in der Berechnung, nur nicht in dem tödtlichen Frost des Egoismus, der uns von der wohlthätigen Natur trennet und nur die Eitelkeit zum einzigen Beweggrund läßt, sie, deren Wurzel immer giftig ist! Wie schön ist die Religion, welche die ganze Welt ihrem Urheber weiht und sich aller unserer Fähigkeiten bedient, um die heiligen Ritus des wundervollen Universums zu feiern!
    Weit davon entfernt, daß ein solcher Glaube die Künste, die Wissenschaften verböte, gehört ihm die Theorie aller unserer Ideen, das Geheimniß aller Talente. Gott und die Natur müßten mit einander im Widerspruch stehen, wenn die aufrichtige Frömmigkeit den Menschen verböte, sich ihrer Fähigkeiten zu bedienen, und die Freuden zu genießen, von welchen jene die Quellen sind. In allen Werken des Genies ist Religion; in allen religiösen Gedanken ist Genie. Der Verstand ist weniger edlen Ursprungs; das Streiten ist seine Sache. Aber das Genie schafft. Die unerschöpfliche Quelle der Talente und Tugenden ist das Gefühl des Unendlichen, das seinen Antheil hat an allen großmüthigen Handlungen, an allen gründlichen Anschauungen.
    Die Religion ist nichts, wenn sie nicht Alles ist, wenn das Daseyn damit nicht angefüllt ist, wenn man in dem Gemüth nicht unablässig jenen unsichtbaren Glauben, jene Demuth und jene erhabene Verlangen unterhält, welche über die niedern Neigungen, denen uns unsere Natur blosstellt, triumphiren müssen.
    Und doch, wie könnte die Religion uns immer gegenwärtig seyn, wenn wir sie nicht an Alles knüpfen, was ein schönes Leben beschäftigen kann, als da sind: liebende Gefühle, philosophische Betrachtungen

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