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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die Einsichten selbst den Glauben des Herzens. Gegenwärtig flüchten sich die Philosophen in die Religion, um in ihr die Quelle hoher Gedanken, und uneigennütziger Gefühle zu finden; in dieser Epoche, von Jahrhunderten vorbereitet, kann das Bündniß zwischen Philosophie und Religion innig und aufrichtig seyn. Nicht, wie ehemals, sind die Unwissenden Feinde des Zweifels, welche entschlossen wären, alles, was ihre religiösen Hoffnungen und ihre ritterliche Hingebung stören könnte, von sich zu stoßen; die Unwissenden unserer Zeit sind ungläubig, leichtsinnig, oberflächlich; sie wissen, was der Selbstheit zu wissen Noth thut, und ihre Unwissenheit erstreckt sich nur auf jene erhabene Studien, welche in dem Gemüthe ein Gefühl der Bewunderung für die Natur und die Gottheit entzünden.
    Ehemals füllten kriegerische Beschäftigungen das Leben der Edlen aus, und bildeten ihren Geist durch das Handeln; aber seitdem die Menschen der ersten Klasse keine Verrichtung im Staate haben, und keine Wissenschaft ergründen, richtet sich die ganze Thätigkeit ihres Verstandes, welche in dem Kreise der Geschäfte oder der geistigen Arbeiten verbraucht werden sollte, auf Beobachtung der Manieren und Kenntniß der Anekdoten.
    Kaum sind die jungen Männer aus der Schule hervorgegangen: so bemächtigen sie sich des Müssigganges, wie einer männlichen Toga. Männer und Weiber belauern sich in ihren unbedeutendsten Angelegenheiten, nicht gerade aus Bösartigkeit, wohl aber um etwas zu sagen zuhaben, da sie nichts zu denken haben. Dieses alltägliche Bespötteln zerstöre das Wohlwollen und die Redlichkeit. Man ist mit sich selbst nicht zufrieden, wenn man die bewiesene oder empfangene Gastfreundschaft misbraucht, um Personen zu tadeln, mit welchen man lebt, und man verhindert auf diese Weise, daß eine tiefere Zuneigung entstehen oder fortdauern könnte. Denn indem man Spöttereien über theure Personen sein Ohr leiht, zerstört man alles Reine und Kräftige der Zuneigung. Gefühle, in welchen man nicht vollkommen wahr ist, stiften noch mehr Böses, als die Gleichgültigkeit.
    Jeder hat eine lächerliche Seite, und nur aus der Ferne betrachtet, erscheint ein Charakter als vollständig. Allein, da das, was der Existenz das Gepräge der Eigenthümlichkeit giebt, immer eine Seltsamkeit ist: so giebt diese Seltsamkeit der Spötterei Raum: auch sucht Derjenige, der die Spötterei über alles fürchtet, so viel es immer in seinen Kräften steht, alles aus sich zu verbannen, was ihn auf irgend eine Weise, es sey im Guten oder im Bösen, auszeichnen könnte. Diese ausgelöschte Natur, wie sehr sie auch dem guten Geschmack entsprechen möge, hat freilich auch ihre Lächerlichkeiten; allein der Geist der Wenigsten ist fein genug, sie aufzufassen.
    Die Spottsucht hat das Eigenthümliche, daß sie dem Guten wesentlich schadet, keinesweges aber dem Starken. Die Macht hat etwas Herbes und Triumphirendes, was das Lachen tödtet; außerdem achten die leichtfertigen Geister die Klugheit des Fleisches, um hier den Ausdruck eines Moralisten des sechszehnten Jahrhunderts zu gebrauchen; und man erstaunt, wenn man die volle Tiefe des persönlichen Eigennutzes in diesen Menschen antrifft, welche unfähig schienen, einer Idee oder einem Gefühl zu folgen, sobald daraus nichts Vortheilhaftes für ihre Glücks- und Eitelkeitsberechnungen hervorgehen konnte.
    Die Leichtfertigkeit des Geistes bewirkt nicht, daß man die Angelegenheiten dieser Welt vernachlässigt. In dieser Hinsicht trifft man eine weit edlere Sorglosigkeit in ernsten Charakteren an; denn die Leichtfertigkeit besteht in den meisten Fällen nur in der Geringschätzung allgemeiner Ideen, um sich desto anhaltender mit dem zu beschäftigen, was den persönlichen Vortheil fördert.
    In Leuten von Verstand ist bisweilen Bösartigkeit; aber das Genie ist beinahe immer gutmüthig. Die Bösartigkeit rührt nicht daher, daß man zu viel Verstand hat, wohl aber daher, daß man nicht genug hat. Könnte man über seine Ideen sprechen, so würde man die Personen in Ruhe lassen; und hätte man die Ueberzeugung, durch natürliche Talente Anderen den Rang abzulaufen, so würde man sich nicht damit aufhalten, den Boden, auf welchem man herrschen will, zu ebnen. Es giebt Mittelmäßigkeiten der Seelen, welche sich hinter Bissigkeit und Bosheit verstecken; aber die wahre Ueberlegenheit strahlt von guten Gefühlen und hohen Gedanken.
    Die Gewohnheit, sich geistig zu beschäftigen, flößt ein aufgeklärtes

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