Ueber Deutschland
Marktschreierei, und halten sich an dem abgezogenen Ausdruck, weil er gewissenhafter ist und dem Wesen des Wahren sich mehr nähert: aber die Unterhaltung muß keine Mühe kosten, weder für das Verstehen, noch für das Sprechen. Sobald sich die Unterhaltung nicht mehr auf die allgemeinen Angelegenheiten des Lebens bezieht, und man in den Kreis der Ideen eintritt, wird die Unterhaltung in Deutschland allzu metaphysisch; es giebt kein Mittelgut zwischen dem Gemeinen und dem Erhabenen, und doch ist es gerade dies Mittelgut, worin sich die Kunst zu schwatzen zeigt.
Die deutsche Sprache hat eine ihr eigenthümliche Lustigkeit; die Gesellschaft hat sie nicht furchtsam gemacht, und die guten Sitten haben sie in ihrer Reinheit erhalten. Aber dies ist eine volksthümliche Lustigkeit, welche alle Classen begreifen. Die seltsamen Töne der Wörter, ihre alterthümliche Einfalt, geben der Spötterei etwas Mahlerisches, womit sich das Volk eben so gut belustigen kann, als die Gebildeteren. Die Deutschen sind in der Wahl der Wörter minder gezwängt, als wir, weil ihre Sprache, die bei weitem weniger zur Unterhaltung der Vornehmen gebraucht worden ist, nicht, wie die unsrige, aus Wörtern besteht, die ein Zufall, eine Anwendung, eine Anspielung lächerlich machen; aus Wörtern, die, nachdem sie alle Abentheuer der Gesellschaft ausgehalten haben, vielleicht ungerechterweise proscribirt sind, aber doch nicht länger gestattet werden können. Der Zorn hat sich im Deutschen sehr oft ausgedrückt; aber nie hat man daraus eine Waffe der Verspottung gemacht, und die Wörter, deren man sich bedient, haben noch ihre volle Wahrheit, ihre volle Kraft. Dies ist ein Vortheil mehr; dafür aber kann man im Französischen tausend feine Bemerkungen ausdrücken und tausend Kunstwendungen machen, deren die deutsche Sprache bis jetzt unfähig ist.
Im Deutschen muß man sich mit den Ideen, im Französischen mit den Personen messen; mit Hülfe des Deutschen muß man grübeln, mit Hülfe des Französischen zum Ziel gelangen. Mit dem ersteren muß man die Natur, mit dem anderen die Gesellschaft mahlen. Göthe lässt in seinem Roman Wilhelm Meister eine deutsche Frau sagen: daraus, daß ihr Liebhaber französisch an sie geschrieben, habe sie geschlossen, daß er sie verlassen wolle. Wirklich giebt es in unserer Sprache eine Menge Phrasen, etwas zugleich zu sagen und nicht zu sagen, etwas hoffen zu lassen, ohne es zu versprechen, und etwas zu versprechen, ohne sich zu binden. Das Deutsche ist weniger biegsam, und möge es immer so bleiben! Denn nichts verursacht so viel Abscheu, als diese Sprache, wenn sie zu Gleißnereien verbraucht wird, von welcher Beschaffenheit diese auch seyn mögen. Ihre schleppende Zusammensetzung, ihre vervielfachten Zwischensätze, ihre gelehrte Grammatik erlauben ihr keine Anmuth in der Kunst sich zu schmiegen; und man möchte sagen, sie sperre sich von selbst gegen die Absicht des, der sie redet, und in ihr zum Verräther an der Wahrheit werden will.
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Dreizehntes Capitel. Vom nördlichen Deutschland.
Die ersten Eindrücke, die man im nördlichen Deutschland erhält, sind, vorzüglich im Winter, ungemein traurig; und ich erstaune gar nicht darüber, daß diese Eindrücke die meisten Franzosen, welche die Verbannung in dieses Land geführt hat, verhindert haben, es ohne Vorurtheil zu beobachten. Die Rheingränze ist feierlich; indem man sie überschreitet, fürchtet man das schreckliche Wort zu hören: jetzt bist du außerhalb Frankreich. Vergeblich bemüht sich der Geist, mit Unpartheilichkeit von dem Geburtslande zu urtheilen, unsere Gefühle trennen sich nie davon; und ist man genöthigt, es zu verlassen, so hat die Existenz ihre Wurzel verloren, so fühlt man, daß man sich selbst fremd geworden ist. Die einfachsten Gebräuche, wie die vertrautesten Beziehungen, die wichtigsten Angelegenheiten, wie die kleinsten Freuden, alles gehörte dem Vaterlande an, und dies Alles ist nicht mehr. Man begegnet Keinem, der uns von der Vergangenheit etwas sagen könnte, Keine[m], der im Stande wäre, die Identität verlebter Tage mit den gegenwärtigen zu bezeugen; das Schicksal hebt von neuem an, ohne daß das Vertrauen der Jugendjahre sich erneuert; mit unverändertem Herzen, verändert man seine Welt. Die Verbannung verdammt also zur Ueberlebung seiner selbst; das Lebewohl, die Trennungen sind wie ein Augenblick des Todes, und doch ist man dabei mit allen Kräften des Lebens.
Vor sechs Jahren befand
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