Ueber Deutschland
unablässig nachahmen; Kotzebue die Bürger einer kleinen Stadt, bezaubert von ihrem Wohnort, den sie für unvergleichlich halten und stolz auf ihn. Der Unterschied des Lächerlichen führt immer auf den Unterschied in den Sitten. In Deutschland ist jeder Wohnort für den, der sich darin aufhält, ein Reich; seine Einbildungskraft, seine Studien und seine Treuherzigkeit vergrößern ihn in seinen Augen; jeder weiß ihn sich so vortheilhaft wie möglich zu machen. Die Wichtigkeit, die man auf alles legt, mag spaßhaft seyn; aber diese Wichtigkeit giebt kleinen Hülfsquellen einen Werth. In Frankreich interessirt man sich nur für Paris; und man thut Recht daran, denn Paris ist ganz Frankreich, und wer nur in der Provinz gelebt hätte, würde nicht die mindeste Vorstellung von dem haben, was das Eigenthümliche dieses herrlichen Landes ausmacht.
Da die ausgezeichnetsten Männer Deutschlands nicht in einer und derselben Stadt versammelt sind, so sehen sie sich beinahe gar nicht, und stehen nur durch ihre Schriften mit einander in Verbindung; jeder tummelt sich in der eigenen Bahn, und entdeckt in der großen Region des Alterthums, der Metaphysik und Wissenschaft unaufhörlich neue Gegenden. Was man in Deutschland Studiren nennt, ist etwas Bewundernswerthes. fünfzehn Stunden von Einsamkeit und Arbeit täglich scheinen eine ganz natürliche Art der Existenz, selbst ganze Jahre hindurch. Die Langeweile des Umgangs macht die Zurückgezogenheit liebenswerth.
In Sachsen gab es eine unbegränzte Preßfreiheit, aber sie war ohne alle Gefahr für die Regierung, weil der Geist der Schriftsteller nie zur Untersuchung politischer Instruktionen hinleitete; die Einsamkeit bringt es mit sich, daß man sich der Speculation oder der Poesie hingiebt; man muß in dem Flammenquell menschlicher Leidenschaften leben, um ein Bedürfniß zu fühlen, sich ihrer zu bedienen oder sie zu leiten. Die deutschen Schriftsteller beschäftigen sich nur mit Theorieen, mit Gelehrsamkeit, mit literarischen und philosophischen Untersuchungen, und davon war für die Mächtigen dieser Welt nichts zu fürchten. Außerdem, obgleich die sächsische Regierung nicht von Rechtswegen frei, nehmlich repräsentativ, war, so war sie es doch durch die That, vermöge der Gewohnheiten des Landes und der Mäßigung der Fürsten.
Die Ehrlichkeit der Einwohner ist so groß, daß, als zu Leipzig ein Eigenthümer an einen von ihm am äußersten Ende des Spazierganges gepflanzten Apfelbaum einen Zettel geklebt hatte, worin er bat, daß man ihm doch die Früchte nicht rauben möchte, man ihm zehn Jahre hindurch keinen einzigen Apfel stahl. Mit dem Gefühl der innigsten Hochachtung habe ich diesen Apfelbaum gesehen. Und wäre es der Baum der Hesperiden gewesen, so würde man sein Gold eben so wenig berührt haben, als seine Blüthen.
Sachsen genoß einer tiefen Ruhe; bisweilen machte man Lärm mit einigen Ideen, ohne an ihre Anwendung zu denken. Man hatte sagen mögen: Denken und Handeln stehen in keiner Beziehung zu einander, und die Wahrheit gleiche bei den Deutschen den Hermessäulen, die weder Hände noch Füße hatten, um zu fassen und sich fortzubewegen. Bei dem allen ist nichts so achtungswerth, als diese friedlichen Eroberungen der Betrachtung und des Nachdenkens, welche diese vereinzelte Menschen ohne Glücksgüter, ohne Macht, ohne andere Verbindung unter sich als die Bearbeitung des Gedankens, beschäftigen.
In Frankreich beschäftigt man sich mit abstracten Ideen nur in Beziehung auf die Praxis. Die Verwaltung verbessern, die Bevölkerung durch gute Staatswirthschaft aufmuntern, dies war der Gegenstand von den Arbeiten unserer Philosophen, vorzüglich im abgewichenen Jahrhundert. Auch diese Manier, seine Zeit anzuwenden, ist achtungswerth; aber auf der Gedanken-Skala steht die Würde des menschlichen Geschlechts höher, als sein Wohlseyn, vorzüglich, als sein Wachsthum. Geburten vervielfältigen, ohne die Bestimmung zu veredeln, heißt bloß, dem Tode ein reichlicheres Mahl bereiten.
Die literarischen Städte Sachsens sind die, wo man das meiste Wohlwollen, die meiste Einfachheit antrift. Anderwärts hat man allenthalben die Wissenschaften als eine Zugabe des Luxus betrachtet; in Deutschland scheinen sie ihn auszuschließen. Die Neigungen, welche sie einflößen, geben eine Art von Aufrichtigkeit und Furchtsamkeit, die das häusliche Leben anziehend macht, nicht daß die Autor-Eitelkeit nicht ihren bestimmten Character bei den Deutschen haben sollte, aber sie
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