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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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ich mich auf dem linken Rheinufer, die Barke erwartend, die mich zum rechten hinüber führen sollte; es war kalt, dunkel, und alles schien mir eine traurige Weissagung. Bewegt der Schmerz unsere Seele heftig, so kann man sich nicht einbilden, daß die Natur dabei gleichgültig bleibe; es ist dem Menschen erlaubt, seinen Leiden eine gewisse Kraft beizumessen; dies ist nicht Stolz, dies ist Vertrauen zum himmlischen Mitgefühl. Ich war beunruhigt wegen meiner Kinder, wiewohl sie sich noch nicht in einem Alter befanden, jene Bewegungen der Seele zu empfinden, welche über alle außerlichen Gegenstände Schrecken verbreiten. Meine französischen Bedienten wurden ungeduldig über die deutsche Langsamkeit, und wunderten sich darüber, daß man nicht die einzige Sprache verstand, die sie für die Sprache aller civilisirten Länder hielten. In unserer Fähre war ein altes deutsches Mütterchen, das auf einem Karren saß, von welchem sie nicht einmal bei der Ueberfahrt über den Fluß absteigen wollte. – „Sie sind sehr ruhig,“ sagte ich zu ihr. – Freilich, antwortete sie; wozu auch so viel Lärm machen? – Diese einfachen Worte fielen mir auf. In Wahrheit, wozu Lärm machen? Aber wenn auch ganze Generationen schweigend durch das Leben wanderten, so würden Unglück und Tod sie nicht minder beobachten und sie zu erhaschen verstehen.
    Nach meiner Ankunft auf dem jenseitigen Ufer hörte ich das Posthorn, dessen schneidende und falsche Töne eine traurige Reise nach einem traurigen Aufenthalte anzukündigen schienen. Die Erde war mit Schnee bedeckt, die Häuser mit kleinen Fenstern, aus welchen die Köpfe einiger Einwohner hervorguckten, die das Gerassel des Wagens ihren eintönigen Verrichtungen entzogen hatte; eine Art von Zugwerk, welche den Balken bewegt, womit man die Barriere schließt, überhebt den Einnehmer der Landstraße der Mühe, aus seinem Hause zu treten, um das Chaussee-Geld zu erhalten. Alles ist aufs Unbewegliche berechnet, und der Denker, wie derjenige, dessen Existenz ganz materiell ist, verabscheuen gleich sehr die Zerstreuung der Außenwelt.
    Die öden Fluren, die von Rauch geschwärzten Häuser, die gothischen Kirchen, scheinen für Hexen- und Gespenstergeschichten gemacht zu seyn. Deutschlands Handelsstädte sind groß und gut gebaut: aber sie geben keine Idee von dem, was den Ruhm und das Interesse des Landes ausmacht, von dem literarischen und philosophischen Geist. Die kaufmännischen Interessen reichen hin, um den Verstand der Franzosen zu entwickeln, und man kann in Frankreich in einer aus lauter Handelsleuten zusammengesetzten Stadt einige gesellschaftliche Unterhaltung antreffen; aber die Deutschen, mit ihrer hohen Empfänglichkeit für abstracte Studien, behandeln die Geschäfte, wenn sie sich damit befassen, so methodisch, so schwerkräftig, daß sie sich zu keiner allgemeinen Idee darüber erheben. Sie bringen in den Handel die Rechtlichkeit, welche sie auszeichnet; aber sie geben sich demselben auch dermaßen hin, daß sie im Umgange nur noch einen munteren Zeitvertreib suchen, und von einer Zeit zur andern grobe Späße vorbringen, um sich selbst zu belustigen. Dergleichen Späße machen den Franzosen niedergeschlagen; denn man findet sich leichter in die Langeweile, welche in ernsten und eintönigen Formen auftritt, als in jene spaßbafte, welche so recht plump und vertraulich die Tatze auf die Schulter legt.
    Die Deutschen haben sehr viel Universalität in Literatur und Philosophie; aber durchaus nicht in Geschäften. Diese behandeln sie immer stückweise, so daß sie sich nur mechanisch damit befassen. In Frankreich das Gegentheil; der Geist der Geschäftsführung ist hier sehr entwickelt, und nur in der Literatur und Philosophie gestattet man keine Universalität. Wäre ein Dichter zugleich Gelehrter, oder ein Gelehrter zugleich Dichter, so würde er bei uns den Dichtern und Gelehrten verdächtig vorkommen. Dafür aber trifft man nicht selten in dem einfachsten Handelsmann sehr klare Ansichten von den politischen und militärischen Angelegenheiten seines Landes. Daher, daß man in Frankreich mehr Leute von Verstand und weniger Denker findet. In Frankreich studirt man die Menschen, in Deutschland die Bücher. Die gewöhnlichsten Fähigkeiten reichen aus, um Theilnahme zu finden, wenn man über Menschen spricht; man braucht beinahe Genie, um Seele und Bewegung in den Büchern zu entdecken. Deutschland kann nur diejenigen fesseln, die sich mit alten Thatsachen und abstracten Ideen

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