Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
Vom Netzwerk:
beschäftigen. Für Frankreich gehört das Gegenwärtige und Wirkliche; und bis eine neue Ordnung der Dinge eintritt, scheint es nicht darauf verzichten zu wollen.
    Ich lege es, dünkt mich, nicht darauf an, die Nachtheile Deutschlands in den Schatten zu stellen. Diese kleinen norddeutschen Städte, wo man Menschen von großen Fähigkeiten antrifft, bieten oft keine Art von Belustigung dar: kein Schauspiel, keinen Umgang; tropfenweise rinnt hier die Zeit, und durch kein Geräusch unterbricht sie die einsame Betrachtung. Die kleinsten Städte Englands stehen mit einer freien Verfassung in Zusammenhang, und senden Abgeordnete, die Angelegenheiten der Nation zu verhandeln; die kleinsten Städte Frankreichs stehen in Verbindung mit der Hauptstadt, wo so viele Wunder vereinigt sind; die kleinsten Städte Italiens genießen des Himmels und der schönen Künste, deren Strahlen sich über die ganze Landschaft verbreiten. Im Norden Deutschlands giebt es keine repräsentative Verfassung, keine große Hauptstadt; und die Strenge des Clima, die Mittelmäßigkeit der Glücksgüter, der Ernst des Charakters würden das Daseyn höchst beschwerlich machen, wenn die Macht des Gedankens sich nicht hinausgeschwungen hätte über diese langweiligen und begränzten Umstände. Die Deutschen haben sich eine lebendige und unabhängige Gelehrten-Republik geschaffen, und das Interesse der Begebenheiten durch das der Ideen ersetzt. Sie brauchen keinen Mittelpunkt, weil sie alle demselben Ziele zustreben, und ihre Einbildungskraft vervielfältigt die Schönheiten, welche Natur und Kunst ihnen darbieten können.
    Die Bürger dieser idealen Republik, größtentheils frei von allen öffentlichen und besonderen Verrichtungen, arbeiten im Verborgenen, wie Bergleute, und, wie diese, unter verschachteten Schätzen hingestellt, bringen sie die intellectuellen Reichthümer des menschlichen Geschlechts an den Tag.
     ————————

     

Vierzehntes Capitel. Sachsen.
    Die Fürsten aus dem Hause Sachsen haben seit der Reformation den Wissenschaften die edelste Art der Beschützung, die Unabhängigkeit, zugestanden. Ohne die Wahrheit im mindesten zu verletzen, darf man behaupten, daß in keinem Lande der Erde so viel Aufklärung anzutreffen ist, als in Sachsen und dem Norden von Deutschland. Hier ist der Protestantismus geboren worden; hier hat sich der Geist der Untersuchung immer lebendig und frisch erhalten.
    Während des letzten Jahrhunderts sind die Churfürsten von Sachsen katholisch gewesen; und obwohl sie dem Schwur, den Cultus ihrer Unterthanen zu respektiren, getreu geblieben sind, so hat doch diese Verschiedenheit kirchlicher Ansicht zwischen dem Volke und seinen Gebietern dem Staate Manches von seiner politischen Einheit geraubt. Die Churfürsten, welche zugleich Könige von Polen waren, haben die Künste mehr geliebt, als die Literatur, die ihnen fremd blieb, wiewohl sie ihr keinen Zwang anthaten. Die Musik wird in Sachsen allgemein geliebt; die Gallerie von Dresden enthält Meisterstücke, die den Künstler beleben können; die Umgebung der Hauptstadt ist sehr mahlerisch: aber die Gesellschaft bietet keine lebhaften Vergnügungen dar. Die Eleganz des Hofes schlägt daselbst keine Wurzeln; nur die Etikette kann sich leicht feststellen.
    Aus der Zahl der Bücher, die in Leipzig verkauft werden, kann man leicht auf die Zahl ihrer Leser schließen: Arbeitsleute aller Classen, Steinhauer sogar, ruhen sich aus, mit einem Buche in der Hand. In Frankreich kann man sich schwerlich eine Vorstellung davon machen, bis zu welchem Grade die Einsichten in Deutschland verbreitet sind. Ich habe Gasthalter und Thorschreiber kennen gelernt, welche die französische Literatur kannten. In Dörfern sogar findet man Leute, die im Griechischen und Lateinischen unterrichten könnten. Keine noch so kleine Stadt, die nicht eine beträchtliche Bibliothek hätte; und allenthalben kann man einige Männer nennen, die wegen ihrer Talente und Kenntnisse empfohlen zu werden verdienen. Wollte man Frankreich und Deutschland in dieser Hinsicht mit einander vergleichen, so würde man zuletzt glauben müssen, beide Länder seyen durch drejahrhundertlange Entfernung von einander geschieden. Indem Paris das Ausgesuchteste des Reichs in seinem Schooße vereinigt, nimmt es dem Uebrigen das Interesse.
    Picard und Kotzebue haben zwei artige Stücke geschrieben, welche die Kleinstädter betittelt sind. Picard stellt die Bewohner der Provinz als Leute dar, welche Paris

Weitere Kostenlose Bücher