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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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englischen Universitäten haben auf eine ausgezeichnete Weise dazu beigetragen, jene Kenntniß der alten Sprachen und Literaturen zu verbreiten, welche den Rednern und Staatsmännern in England eine so liberale und glänzende Unterweisung giebt. Es gehört zum guten Geschmack, noch etwas mehr zu kennen als Geschäfte, wenn man diese einmal kennt; und außerdem schließt die Beredtsamkeit freier Nationen sich an die Geschichte der Griechen und Römer, als an die Geschichte alter Landsleute, an. Aber die deutschen Universitäten, obgleich in mancher Hinsicht den englischen sehr ähnlich, unterscheiden sich von diesen in vieler Hinsicht. Die Menge der Studirenden, die sich zu Göttingen, Halle, Jena, u.s.w. vereinigten, bildeten beinahe einen freien Körper im Staate; die Reichen und Armen unter ihnen unterschieden sich von einander nur durch ihr persönliches Verdienst, und die Fremden, welche aus allen Winkeln der Welt herbeiströmten, unterwarfen sich mit Freuden einer Gleichheit, welche nur durch die natürliche Ueberlegenheit gestört werden konnte.
    Es gab in Deutschland unter den Studirenden Unabhängigkeits-Sinn und selbst militärischen Geist; und wenn sie sich, nach dem Austritt aus dem Universitäts-Leben, den öffentlichen Angelegenheiten hätten widmen können, so würde ihre Erziehung der Energie des Charakters sehr vortheilhaft gewesen seyn. Aber sie traten zurück in die eintönigen und häuslichen Gewohnheiten, welche in Deutschland vorherrschen, und verloren allmählig den Schwung und die Entschlossenheit, die das Universitäts-Leben ihnen eingeflößt hatte, und nichts blieb übrig, als eine ausgebreitete Gelehrsamkeit.
    Auf jeder deutschen Universität concurrirten mehrere Professoren für jeden Zweig des Unterrichts. Auf diese Weise waren die Lehrer selbst von Wetteifer entzündet, und suchten einer dem andern den Rang durch Anziehung einer größeren Zahl von Zuhörern abzulaufen. Die, welche sich für die eine oder die andere Laufbahn besonders bestimmten, es sey die Medizin, das Recht, oder was es sonst wollte, fühlten den natürlichen Beruf, sich über andere Gegenstände zu unterrichten; und daher rührt die Universalität der Kenntnisse, die man beinahe in allen gebildeten Männern Deutschlands antrifft. Wie die Geistlichkeit, so hatten auch die Universitäten ihre eigenthümliche Ausstattung; sie hatten sogar ihre eigene Gerichtsbarkeit, und es ist eine schöne Idee unserer Väter, daß sie die Erziehungs-Anstalten ganz unabhängig gemacht haben. Das reifere Alter mag sich den Umständen unterwerfen; aber beim Eintritt in das Leben soll der Jüngling seine Ideen aus einer ungetrübten Quelle schöpfen.
    Das Sprachstudium, welches die Grundlage des Unterrichts in Deutschland ausmacht, ist in der Jugend der Entwicklung aller Fähigkeiten bei weitem günstiger, als das Studium der mathematischen und physischen Wissenschaften. Pascal, dieser große Geometer, dessen Gedanke über der Wissenschaft, womit er sich beschäftigte, wie über den übrigen allen, schwebte – Pascal selbst hat die Mängel anerkannt, die von den Geistern, welche sich ausschließlich durch das Studium der Mathematik bilden, unzertrennlich sind; denn dies Studium übt in einem früheren Alter nur den Mechanismus des Verstandes, und Kinder, welche man allzu früh an das Rechnen bringt, verlieren nur den Saft der Imagination, der in diesem Alter so schön und so fruchtbar ist, und erwerben dafür eine unmäßige Richtigkeit des Geistes, indem Arithmetik und Algebra sich darauf beschränken, uns auf tausend Manieren dieselben Sätze zu lehren. Die Probleme des Lebens sind verwickelter; keins ist positiv, keins abgeschlossen; man muß errathen, wählen, und zwar mit Hülfe von Ansichten und Voraussetzungen, die mit dem untrüglichen Gange der Berechnung nichts gemein haben.
    Die erwiesenen Wahrheiten führen nicht zu den Wahrscheinlichkeiten, welche in Geschäften, wie in den Künsten und in dem Umgange, uns allein zu Führern dienen. Es giebt unstreitig einen Punkt, wo auch die Mathematik jene strahlende Macht der Erfindung fordert, ohne welche sie nicht in die Geheimnisse der Natur eindringen kann; auf dem Gipfel des Gedankens scheinen sich Homers und Newtons Imagination zu vereinigen. Aber wie viele Kinder ohne Genie für die Mathematik widmen derselben ihr ganzes Leben! Man übt in ihnen nur Eine Fähigkeit, während man das ganze moralische Wesen in einer Epoche entwickeln sollte, wo man Seele und Körper durch die

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