Ueber Deutschland
diese Gewohnheit so mächtig geworden seyn, daß man es in einem Alter von zwölf Jahren durch Vorstellungen von der Nothwendigkeit der Arbeit weit unglücklicher machen würde, als es durch die Gewöhnung, darin eine nothwendige Bedingung des Lebens zu sehen, jemals werden konnte. Außerdem würde die Sorgfalt, welche Rousseau von dem Erzieher fordert, um den Unterricht zu ergänzen und denselben durch die Nothwendigkeit herbeizuführen, jeden Menschen nöthigen, sein ganzes Leben an die Erziehung des andern zu setzen, und nur die Großväter würden die Freiheit haben, eine persönliche Laufbahn zu beginnen. Dergleichen Entwürfe sind chimärisch, indeß die pestalozzische Methode reell und anwendbar ist, und auf den künftigen Gang des menschlichen Geistes einen großen Einfluß gewinnen kann.
Rousseau sagt mit Recht, daß die Kinder nicht fassen, was sie lernen; und daraus schließt er, daß sie nichts lernen sollen. Pestalozzi hat vortrefflich ergründet, warum die Kinder nicht fassen und seine Methode vereinfacht die Ideen so, und stuft sie zugleich so ab, daß sie dem Fassungsvermögen der Kindheit entsprechen, und daß der Geist in diesem Alter, ohne zu ermatten, zu den tiefsten Resultaten gelangt. Indem Pestalozzi mit großer Genauigkeit durch alle Stufen des Raisonnements durchgeht, setzt er das Kind in den Stand, selbst zu entdecken, was man es lehren will.
In Pestalozzi's Methode giebt es kein Beinahe; man versteht entweder gut, oder man versteht gar nicht; denn alle Sätze berühren sich so nahe, daß das zweite Raisonnement immer eine unmittelbare Folge des ersteren ist. Rousseau hat gesagt, man ermüde den Kopf der Kinder durch die Studien, die man von ihnen fordere. Pestalozzi führt sie immer auf einem so leichten und so positiven Wege, daß das Vertrautwerden mit den abgezogensten Wissenschaften ihnen nicht mehr Beschwerde verursacht, als sie in den einfachsten Beschäftigungen finden; jeder Schritt in diesen Wissenschaften ist, vermöge des Vorhergegangenen, ebenso leicht, als die allernatürlichste Folgerung aus den allergewöhnlichsten Umständen. Was die Kinder ermüdet, ist, wenn man sie die Zwischensätze überhüpfen läßt, ist, wenn sie vorrücken, ohne zu wissen, was sie gelernt zu haben glauben. In ihrem Kopfe ist alsdann eine Verwirrung, die ihnen jede Untersuchung furchtbar macht, und ihnen einen unüberwindlichen Eckel gegen die Arbeit einflößt. Von allen diesen Nachtheilen keine Spur bei Pestalozzi. Die Kinder belustigen sich mit ihren Studien, nicht, daß man ihnen dieselben zum Spiel macht – was, wie ich schon bemerkt habe, die Langeweile in das Vergnügen, und den Flattersinn in das Studium bringt – sondern weil sie, von Kindesbeinen an, das Vergnügen gemachter Menschen genießen – nehmlich zu begreifen und zu beendigen, was man ihnen aufgetragen hat.
Pestalozzi's Methode ist, wie alles wahrhaft Gute, nicht eine ganz neue Entdeckung, wohl aber eine einsichtsvolle und standhafte Anwendung bereits bekannter Wahrheiten. Geduld, Beobachtung und philosophisches Studium der Verfahren des menschlichen Geistes haben ihm gezeigt, was in den Gedanken elementarisch, in ihrer Entwickelung folgerecht ist; und weiter, als jeder Andere, hat er die Theorie und Praxis der Abstufung des Unterrichts getrieben. Mit Erfolg hat man seine Methode auf die Grammatik, die Geographie, die Musik angewendet; aber es würde sehr zu wünschen seyn, wenn ausgezeichnete Lehrer, die seine Grundsätze angenommen haben, sie auf alle Arten von Kenntnissen anwendeten; die der Geschichte ist insbesondere noch nicht gehörig gefaßt. Noch hat man nicht die Abstufung der Eindrücke in der Literatur wie die der Probleme in den Wissenschaften beobachtet. Mit einem Worte: es ist noch viel zu thun übrig, um die Erziehung auf den höchsten Punkt zu bringen, d. h. die Kunst, sich hinter das, was man weiß, zu stellen, um es Anderen begreiflich zu machen.
Pestalozzi bedient sich der Geometrie, um den Kindern den arithmetischen Calcul beizubringen; dies war auch die Methode der Alten. Die Geometrie spricht mehr zur Einbildungskraft, als die abstracte Mathematik. Es ist Recht, so viel als immer möglich die Bestimmtheit des Unterrichts mit der Lebhaftigkeit der Eindrücke zu vereinbaren, wenn man sich zum Gebieter über den ganzen menschlichen Geist machen will; denn es ist nicht die Tiefe der Wissenschaft selbst, sondern nur die Dunkelheit in der Art des Vortrags, was die Kinder verhindert, sie zu fassen; von Stufe
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