Ueber Deutschland
vergleicht und verbindet mehrere Arten von Analogien und Wahrscheinlichkeiten; und die freiwillige Thätigkeit des Geistes, sie, die die Fähigkeit zu denken allein wahrhaft entwickelt, wird durch dies Studium lebhaft gefördert. Die Zahl der Fähigkeiten, die es zu gleicher Zeit in Bewegung setzt, giebt ihm den Vorzug vor jeder anderen Arbeit, und man ist nur allzu glücklich, das biegsame Gedächtniß des Kindes zu Einsammlung von einer Art von Kenntnissen zu gebrauchen, ohne welche es sein ganzes Leben hindurch auf den Zirkel seiner eigenen Nation beschränkt seyn würde, der, wie alles Ausschließende, immer zu eng ist.
Das Studium der Grammatik erfordert dieselbe Folge, dieselbe Stärke der Aufmerksamkeit, wie die Mathematik; aber es ist dem Denken bei weitem näher verwandt. Die Grammatik verbindet die Ideen mit einander, wie der Calcul die Zahlen in einander kettet; die grammatikalische Logik ist wohl eben so genau, wie die der Algebra, und doch findet sie ihre Anwendung auf alles, was in unserem Geiste lebendig ist; die Wörter sind zu gleicher Zeit Ziffern und Bilder; sie sind Sklaven und Freie, der Disciplin der Syntax unterworfen, und vermöge ihrer natürlichen Bedeutung allmächtig. Man findet also in der Metaphysik der Grammatik die Strenge des Raisonnements und die Unabhängigkeit des Gedankens mit einander vereinigt; alles ist durch Wörter gegangen und alles findet sich darin wieder, wenn man sie zu untersuchen versteht: die Sprachen sind unerschöpflich für das Kind, wie für den Mann, und Jeder kann daraus ziehen, was er braucht.
Die dem Geiste der Deutschen so natürliche Unpartheilichkeit bestimmt ihn zum Studium ausländischer Literaturen, und unter den Personen, die sich über die gemeine Classe erheben, findet man in Deutschland nur wenige, denen nicht mehrere Sprachen geläufig wären. Beim Austritt aus den Schulen weiß man gemeiniglich schon Latein, Griechisch sogar. „Die Erziehung der deutschen Universitäten, sagt ein französischer Schriftsteller, beginnt da, wo die Erziehung mehrerer Nationen von Europa aufhört.“ Nicht bloß sind die Professoren Männer von erstaunlicher Gelehrsamkeit, sondern, was sie vorzüglich auszeichnet, ist ein sehr gewissenhafter Unterricht. In Deutschland betreibt man alles gewissenhaft; und wahrlich, so muß es seyn. Wenn man den Lauf des menschlichen Schicksals untersucht, so wird man finden, daß der Leichtsinn zu allem Bösen von der Welt führen kann. Nur in der Jugend schließt der Leichtsinn einen Zauber in sich; es scheint, als ob der Schöpfer das Kind noch an der Hand halte, und es über die Wolken des Lebens sanft hinführe; aber wenn die Zeit den Menschen sich selbst überliefert, so findet er nur noch im Ernste seiner Seele Gedanken, Gefühle und Tugenden.
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Neunzehntes Capitel. Von den besonderen Erziehungs- und Wohlthätigkeits-Anstalten.
Es wird zwar Anfangs inconsequent scheinen, daß ich die alte Methode lobe, welche das Studium der Sprachen zur Grundlage der Erziehung macht, und dann die Pestalozzische Schule als eine der besten Anstalten dieses Jahrhunderts betrachte; ich glaube indeß, daß diese beiden Ansichten vereinigt werden können.
Von allen Studien ist zwar bei Pestalozzi die Mathematik dasjenige, welches die glänzendsten Resultate giebt; allein es kommt mir vor, als könne seine Methode auch auf andere Theile des Unterrichts angewendet werden, ohne minder sichere und rasche Fortschritte zu bewirken. Rousseau hat gefühlt, daß die Kinder vor dem Alter von zwölf bis dreizehn Jahren nicht den nöthigen Verstand für die Studien haben, die man von ihnen verlangt, oder vielmehr für die Methode des Unterrichts, der man sie unterwirft. Sie wiederholten, ohne zu fassen; sie arbeiteten, ohne zu lernen; sie erndteten von der Erziehung oft nur die Gewohnheit, ihre Aufgabe ohne richtigen Begriff zu machen, und der Macht des Lehrers durch die List des Schülers auszuweichen. Alles was Rousseau gegen die hergebrachte Erziehung gesagt hat, ist vollkommen wahr; aber das, was er als Rettungsmittel vorschlägt, ist nicht selten noch schlimmer, als das Uebel selbst.
Ein Kind, das nach dem Rousseauschen System in einem Alter von zwölf Jahren noch nichts gelernt hätte, würde von seinem Leben sechs kostbare Jahre eingebüßt haben; seine Verstandes-Organe würden nie die Biegsamkeit erhalten, welche die Uebung von Kindesbeinen an, giebt und allein geben kann. Der Müssiggang würde ihm so zur Gewohnheit, und
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