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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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werden; ein künstlicher Anbau kommt nie dem natürlichen bei; einzelne Menschen können gegen die Hindernisse ankämpfen, die aus der Natur der Dinge entstehen; große Massen folgen immer den natürlichen Richtungen. Friedrich hat seinem Lande wirklich und wesentlich dadurch geschadet, daß er dem deutschen Genie laut mit Verachtung begegnete. Eine Folge davon war, daß der deutsche Staatskörper mehr als einmal sich ungerechten Argwohn gegen Preussens Grundsätze zu Schulden kommen ließ.
    Gegen das Ende der Regierung Friedrichs entwickelten sich mehrere deutsche Schriftsteller, und erndteten verdienten Ruhm von der Nation; nicht aber von ihm, der auf die Eindrücke seiner Jugend beharrend, das ungünstige Vorurtheil, das er gegen die Literatur seines Landes gefaßt hatte, nicht fahren ließ. Wenig Jahre vor seinem Tode setzte er eine kleine Schrift auf, in welcher er, unter andern Sprachveränderungen in Vorschlag bringt, jedem Infinitiv des Zeitworts einen Vocal anzuhängen, um das Rauhe der deutschen Endungen zu mildern. Dieses Deutsch mit dem italienischen Anhängsel würde die seltsamste Wirkung von der Welt hervorgebracht haben. Aber kein Monarch auf Erden, selbst nicht der größte Despot im Orient, ist mächtig genug, ich will nicht sagen, die Wendung, sondern nur die Endung der in seiner Landessprache üblichen Worte allgemein zu verändern.
    In einer schönen Ode hat es der Dichter Klopstock dem Könige Friedrich zum Vorwurf gemacht, daß dieser die deutschen Musen vernachlässige, die sich, von ihm unbemerkt, bestrebten, seinen Ruhm zu verkünden. Friedrich war weit entfernt, zu ahnden, was die Deutschen im Fache der Literatur und Philosophie sind; er traute ihnen keinen Empfindungsgeist zu. Ueberhaupt wollte er unter den Gelehrten eine Mannszucht wie bei seiner Armee einführen. In seiner eigenhändigen Vorschrift an die Academie heißt es: „In der Medicin soll man der Methode von Boerhave, in der Metaphysik der des Locke, und in der Naturgeschichte der des Thomasius folgen.“ Diese Vorschriften wurden nicht befolgt. Friedrich hatte keine Ahndung davon, daß unter allen Völkern, die Deutschen sich am wenigsten vom literarischen und philosophischen Schlendrian fortziehen lassen; nichts gab zu seiner Zeit die Kühnheit zu erkennen, mit welcher sie sich in spätern Zeiten in das Feld der Abstractionen gewagt und darin getummelt haben.
    Friedrich sah seine Unterthanen als Ausländer, geistreiche Franzosen aber als seine Landsleute an. Es war freilich natürlich und zu entschuldigen, daß er sich durch das Glänzende und Gehaltvolle, welches zur damaligen Zeit die französischen Schriftsteller zugleich auszeichnete, verführen ließ; gleichwohl würde er mehr für den Ruhm seines Landes gethan und gewirkt haben, hätte er die Fähigkeiten begriffen und entwickelt, die seiner Nation eigenthümlich sind. Doch wie konnte er dem Einfluß und dem Geiste seiner Zeit widerstehen, und wo ist der große Mann, dessen Genie nicht in vieler Hinsicht das Werk seines Jahrhunderts und seines Zeitalters wäre?
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Siebzehntes Capitel. Berlin.
    Berlin ist eine große Stadt, mit breiten geraden Straßen, schönen Häusern, und von regelmäßiger Bauart. Da sie größtentheils neu gebaut ist, so finden sich wenige Spuren älterer Zeiten. Unter den modernen Gebäuden erheben sich keine gothische Monumente, und das Neue wird in diesem neugebildeten Lande auf keinerlei Weise durch Altes unterbrochen und eingezwängt. Was kann aber, wird man sagen, sowohl in Hinsicht der Gebäude, als der öffentlichen Einrichtungen, besser seyn, als durch Ruinen nicht gehemmt zu werden? Ich, für meinen Theil, würde mir in America neue Städte und neue Gesetze wünschen; dort sprechen Natur und Freiheit laut genug zur Seele, um die Erinnerungen entbehrlich zu machen; aber auf unserem alten europäischen Boden müssen wir auf Spuren der Vergangenheit stoßen. Berlin, diese ganz moderne Stadt, so schön sie immer seyn mag, bringt keine feierliche, ernste Wirkung hervor, sie trägt das Gepräge weder der Geschichte des Landes noch des Characters der Einwohner; und die prächtigen neu aufgebauten Gebäude scheinen bloß für die bequeme Vereinigung der Vergnügungen und der Industrie bestimmt zu seyn. Die schönsten Palläste von Berlin sind von gebrannten Steinen; kaum wird man in den Portalen und Triumphbögen Quaderstücke auffinden. Preussens Hauptstadt gleicht Preussen selbst; Gebäude und Einrichtungen zählen

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