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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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der Phrasen hat in dieser Sprache leichter Platz gefunden, als in irgend einem andern europäischen Dialecte; aber Inversionen passen kaum für neuere Sprachen. Die auffallenden Endungen der griechischen und lateinischen Wörter ließen leicht erkennen, welche unter ihnen bestimmt waren, sich mit einander zu verbinden, selbst wenn sie getrennt dastanden: die Declinationszeichen bei den Deutschen sind so dumpf, daß man unter diesen eintönigen Zeichen Mühe hat, diejenigen Wörter herauszufinden, die von einander abhängen.
    Wenn Ausländer sich über die Mühe beschweren, die ihnen das Studium der deutschen Sprache macht, so antwortet man ihnen gewöhnlich, daß es sehr leicht sey, in dieser Sprache mit der Einfachheit der französischen Grammatik zu schreiben, daß es dagegen im Französischen unmöglich wäre, den deutschen Periodenbau anzunehmen, und daß man daher diesen als ein Werkzeug mehr betrachten müsse; dies Werkzeug verführt aber die Schriftsteller, und sie machen davon zu häufigen Gebrauch. Das Deutsche ist vielleicht die einzige Sprache, in welcher Verse leichter als Prosa zu verstehen sind, indem die poetische Phrase, die nothwendigerweise durch das Versmaaß zerschnitten wird, über dasselbe hinaus nicht verlängert werden kann.
    Ohne Zweifel finden sich mehr Nuancen, mehr Gedanken-Verbindungen in diesen Perioden, welche ein Ganzes bilden, und unter einen Gesichtspunkt die verschiedenen, mit dem nämlichen Gegenstand zusammenhängenden Beziehungen zusammenfassen; wenn man sich jedoch der natürlichen Verkettung von einander verschiedener Gedanken überlassen wollte, so würde man damit endigen, alle in Eine Phrase zusammendrängen zu wollen. Der menschliche Geist muß zerstückeln, wo er verstehen will, und man läuft Gefahr, bloßen Schimmer für Wahrheit zu nehmen, wenn die Form der Sprache dunkel ist.
    Die Kunst des Uebersetzens ist in Deutschland weiter gediehen, als in irgend einem andern europäischen Dialecte. Voß hat griechische und römische Dichter mit bewundernswürdiger Treue, und August Wilhelm Schlegel englische, italienische und spanische, mit einer Wahrheit des Colorits in die deutsche Sprache übertragen, wovon es zuvor kein Beispiel gab. Bei Uebersetzungen aus dem Englischen verliert das Deutsche seinen natürlichen Character nicht, weil diese Sprachen beide germanischen Ursprungs sind; aber wie verdienstlich auch Vossens Uebersetzung des Homer seyn möge, so macht sie doch aus der Ilias und der Odyssee nur Gedichte in griechischem Stil, wenn gleich mit deutschen Worten. Die Alterthumskunde gewinnt hiebei, aber die der Sprache einer jeden Nation eigene Eigenthümlichkeit muß nothwendigerweise darunter verlieren. Es scheint ein Widerspruch zu seyn, wenn man die deutsche Sprache zu gleicher Zeit einer zu großen Biegsamkeit und Rauhigkeit beschuldigt; was sich aber im Character mit einander verträgt, das kann es auch in der Sprache: und häufig schützen die Unannehmlichkeiten der Rauhigkeit in einem und dem nämlichen Menschen nicht gegen die der zu großen Weichheit.
    Diese Fehler fallen viel seltener in Versen als in der Prosa, in Original-Werken viel weniger als in Uebersetzungen auf; ich glaube mithin mit Wahrheit sagen zu dürfen, daß es heut zu Tage keine frappantere und mannichfaltigere Poesie giebt, als die Deutsche.
    Die Kunst des Versbaus ist ein unerschöpfliches Geheimniß; Worte, die in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens nur zur Bezeichnung des Gedankens dienen, ergreifen im Verse unsre Seele durch den Rhythmus harmonischer Töne, und geben den doppelten Genuß eines Gefühls-Eindrucks und dabei der Reflexion im Verein. Wenn aber auch alle Sprachen gleich fähig sind, das auszudrücken, was wir denken, so sind sie es doch keinesweges in Hinsicht der Mittheilung dessen, was wir empfinden, und die Wirkungen der Poesie hängen mehr noch von der Melodie der Worte ab, als von den Ideen, die sie bezeichnen.
    Die deutsche Sprache ist die einzige unter den modernen, welche lange und kurze Silben hat, wie die griechische und die lateinische; alle andre europäische Dialecte sind wohl mehr oder weniger accentuirt, aber in ihnen geschriebene Verse können nicht nach Art der Alten nach der Quantität der Silben gemessen werden; der Accent giebt den Phrasen, wie den Wörtern, Einheit, er steht in Beziehung mit der Bedeutung dessen, was man sagt; man ruht auf dem, was den Sinn bestimmen soll, und die Aussprache, indem sie d[as] eine oder das andere Wort hervorspringen

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