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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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läßt, führt alles auf die Haupt-Idee zurück. Nicht so verhält es sich mit der musikalischen Dauer der Töne in der Sprache, sie ist der Poesie viel günstiger als der Accent, weil sie keinen positiven Gegenstand hat, und bloß ein edles unbestimmtes Vergnügen gewährt, wie alle Genüsse ohne besondern Zweck. Die Alten scandirten die Silben nach der Natur der Vocale und den Verhältnissen der Töne zu einander, der Wohllaut entschied dabei allein; in der deutschen Sprache sind alle Nebenwörter kurz, und die grammatische Würde, das heißt, das Gewicht der Stammsilbe bestimmt die Quantität. Diese Art der Prosodie hat weniger Reiz, als die der Alten, weil sie mehr von abstracten Combinationen, als von unwillkührlichen Gefühlseindrücken abhängt; nichts destoweniger ist es ein großer Vorzug einer Sprache, in ihrer Prosodie ein Ersatzmittel für den Reim zu haben.
    Der Reim ist eine moderne Erfindung, die mit dem Ganzen unsrer schönen Künste zusammenhängt: man würde sich große Wirkungen versagen, wenn man auf ihn Verzicht leistete; denn er ist ein Bild der Hoffnung und der Rückerinnerung. Ein Schall erregt in uns das Verlangen nach dem, der ihn beantworten soll, und, ertönt der zweite, so ruft er den eben entschwundenen ins Gedächtniß zurück. Dessenungeachtet muß diese angenehme Regelmäßigkeit nothwendigerweise der Natur in der dramatischen Kunst, wie der Kühnheit in dem Epos Eintrag thun. Man kann des Reimes in den Sprachen, deren Prosodie wenig marquirt ist, schwer entrathen, und doch kann der Zwang der Construction in gewissen Sprachen so groß seyn, daß ein kühner und denkender Dichter das Bedürfniß fühlen muß, die Harmonie der Verse ohne die Sclaverei des Reimes genießen zu lassen. Klopstock hat den Alexandriner aus der deutschen Poesie verbannt, und ihn durch Hexameter ersetzt und durch reimlose Jamben, die auch bei den Engländern üblich sind, und der Einbildungskraft viel Freiheit gewähren. Der Alexandriner taugte schlecht für die deutsche Sprache; hievon kann man sich selbst durch die Werke des großen Haller überzeugen, wie verdienstlich sie auch sonst sind; eine Sprache, deren Ton so hart ist, betäubt durch die Wiederkehr und Gleichförmigkeit der Abschnitte. Ueberdies fordert diese Gattung des Verses Sentenzen und Gegensätze, und der Geist der Deutschen ist zu gewissenhaft und zu wahr, um sich den Antithesen hinzugeben, die sowohl Ideen als Bilder nie mit vollkommener Aufrichtigkeit und nie in ihren kleinsten Nuancen zeigen. Der Wohlklang der Hexameter und vorzüglich der reimlosen Jamben ist nur die natürliche Harmonie, die das Gefühl einflößt, eine mit Noten bezeichnete Declamation, wogegen der Alexandriner den Zwang gewisser Ausdrücke und Wendungen auflegt, aus denen man sich schwer wieder herauswickelt. Die Composition dieser Verse ist eine, selbst vom poetischen Genie völlig unabhängige Kunst, die man besitzen kann, ohne jenes Genie zu haben, wie man im Gegentheil ein großer Dichter seyn könnte, ohne die Fähigkeit, sich in diese Form zu zwängen.
    Unsre ersten französischen lyrischen Dichter sind vielleicht unsre großen Prosaiker, Bossuet, Pascal, Fenelon, Buffon, J. J. Rousseau u. s. w. Der Despotismus, den der Alexandriner übt, nöthigt zuweilen, das nicht in Verse zu bringen, was doch wahre Poesie wäre; während bei den an eine leichtere und natürlichere Versification gewöhnten Ausländern, alle poetische Gedanken Verse eingeben, und man in der Regel die Prosa nur für das Raisonnement bewahrt. Man würde selbst einem Racine vergeblich die Aufgabe machen, Pindar, Petrarca oder Klopstock in französische Verse zu bringen, ohne ihnen ihren ganzen Charakter zu rauben. Diese Dichter haben eine Art der Kühnheit, welche sich nur in den Sprachen findet, in denen man den ganzen Reiz der Versification mit der Originalität verbinden kann, die im Französischen die Prosa allein gestattet.
    Einer der großen Vorzüge, den die deutschen Dialekte in Rücksicht der Poesie haben, ist die Mannigfaltigkeit und Schönheit ihrer Beiwörter. Auch in dieser Hinsicht kann das Deutsche mit dem Griechischen verglichen werden; man fühlt in einem Worte mehrere Bilder, wie man in der Grundnote eines Accordes die andern Töne, aus denen er besteht, mit höret, oder wie gewisse Farben in uns, den Eindruck derer, die von ihnen abhängen, erwecken. Man sagt französisch nur eben, was man sagen will, und sieht nicht um die Worte diese tausendgestaltigen Wolken schwimmen, die

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