Ueber Deutschland
zur Seite stehn, denn verspotten heißt soviel als herabsetzen. Der gesellschaftliche Geist ist jedoch der Poesie der Anmuth und der Heiterkeit sehr günstig, von welcher Ariost, Lafontaine und Voltaire die glänzendsten Muster darbieten. Die dramatische Poesie erregt Bewunderung in unsern vornehmsten Schriftstellern, die beschreibende und vorzüglich die didaktische Poesie ist bei den Franzosen zu einem sehr hohen Grade von Vollkommenheit gebracht worden; aber es scheint nicht, daß sie bis jetzt berufen seyen, sich in der lyrischen und epischen Poesie, nach den Begriffen, welche die Alten und die Ausländer davon haben, auszuzeichnen.
Die lyrische Poesie spricht sich im Namen des Autors selber aus; er versetzt sich nicht mehr in eine fremde Rolle, sondern findet in sich selbst die verschiedenen Bewegungen, von denen er befeuert ist. J. J. Rousseau in seinen religiösen Oden, Racine in der Athalia, haben sich als lyrische Dichter gezeigt; sie hatten sich durch Psalmen genährt und waren von einem lebendigen Glauben durchdrungen; allein es widersetzen sich die Schwierigkeiten der französischen Sprache und Versification fast immer dem Hingeben des Enthusiasmus. Man kann bewundernswürdige Strophen aus einigen unserer Oden anführen, aber nicht eine einzige ganze, in welcher der Gott seinen Dichter nicht verlassen hätte. Schöne Verse sind noch keine Poesie; die Begeisterung in den Künsten ist der unerschöpfliche Quell, der vom ersten bis zum letzten Worte Leben strömt. Liebe, Vaterland, Glaube, alles dies muß in der Ode vergöttlicht werden, sie ist die Apotheose des Gefühls: um die wahre Größe der lyrischen Poesie zu begreifen, schweife man durch die Schwärmerei in ätherische Regionen, vergesse das Geräusch der Erde, höre die himmlische Harmonie, und betrachte die gesammte Welt wie ein Symbol der Regungen des Gemüths.
Das Räthsel der Bestimmung des Menschen gilt den meisten für nichts, dem Dichter ist es in der Fantasie immer gegenwärtig. Die Idee des Todes, die gemeine Seelen entmuthigt, macht das Genie nur kühner und das Gemisch der Naturschönheiten und der Schrecknisse der Zerstörung erregt eine gewisse Art Trunkenheit von Beglückung und von Grausen, ohne welche es unmöglich ist, das Schauspiel dieser Welt weder zu verstehn, noch zu beschreiben. Die lyrische Poesie erzählt nichts, sie bindet sich in nichts, weder an die Folge der Zeit, noch an die Gränzen des Raums, sie schweift hoch über Länder und Jahrhunderte, und giebt dem erhabenen Augenblicke Dauer, wo der Mensch sich erhebt über die Leiden und Freuden dieser Welt. In ihr fühlt er sich inmitten der Wunder der Welt, wie ein zugleich schaffendes und geschaffenes Wesen, welches sterben muß und doch nicht aufhört zu seyn, und dessen bald klopfendes, bald starkes Herz zugleich stolz auf sich selbst und demüthig vor Gott ist.
Die Deutschen, welche, was sehr selten ist, Einbildungskraft mit beschaulicher Sammlung des Gemüths vereinigen, sind der lyrischen Poesie fähiger, als die meisten anderen Nationen. Die Neueren können eine gewisse Tiefe der Ideen nicht entbehren, an welche sie eine spiritualistische Religion gewöhnt hat, und doch, wenn diese Tiefe nicht mit Bildern bekleidet wäre, wäre sie nicht Poesie; die Natur muß sich daher in den Augen des Menschen vergrößern, damit er sich ihrer als des Emblems seiner Gedanken bediene. Haine, Blumen, Bäche genügten im heidnischen Zeitalter zum dichten; die Einsamkeit der Wälder, das unbegränzte Meer und der gestirnte Himmel reichen kaum hin, das Ewige und Unendliche, was die Seele des Christen füllet, auszudrücken.
Die Deutschen haben eben so wenig als wir, ein episches Gedicht; diese bewundernswürdige Schöpfung scheint den Neueren nicht gegönnt zu seyn, und vielleicht ist es auch nur die Ilias, die dem Begriffe ganz entspricht, den man von dieser Dichtungsart hat; das Epos bedarf eines besondern Zusammentreffens von Umständen, wie es sich nur bei den Griechen fand, die Imagination der Heldenzeit und die Vollkommenheit der Sprache civilisirter Jahrhunderte. Im Mittelalter war die Einbildungskraft stark, aber die Sprache unvollkommen; jetzt ist die Sprache rein, aber die Einbildungskraft mangelhaft. Die Deutschen haben eine große Kühnheit in Ideen und Stil, doch wenig Erfindungskraft in Rücksicht auf den Stoff; ihre epischen Versuche nähern sich fast immer der lyrischen Gattung; die der Franzosen fallen vielmehr in das Drammatische, und sind mehr interessant, als
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