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Ueber Deutschland

Titel: Ueber Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germaine de Staël
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die Poesie der nordischen Sprachen umgeben, und eine Menge von Erinnerungen wecken. Mit der Freiheit, ein einziges Beiwort aus zweien oder dreien zu bilden, hängt auch die zusammen, die Sprache durch Verwandlung von Zeitwörtern in Hauptwörter zu beleben: das Wollen, das Fühlen sind weniger abstrakte Ausdrücke, als der Wille, das Gefühl; und alles was dahin führt, den Gedanken in That zu verwandeln, giebt dem Stil immer größere Lebendigkeit. Die Leichtigkeit, nach Belieben die Construktion der Phrasen umzustoßen, ist auch der Poesie sehr günstig, und gestattet, durch die mannigfaltigen Mittel der Versification, Eindrücke hervorzubringen, die denen der Malerei und Musik ähnlich sind. Kurz, der allgemeine Geist der teutonischen Dialekte ist Unabhängigkeit: die Schriftsteller suchen vor allen Dingen, was sie selbst fühlen, auf andre zu übertragen, und würden gern zur Poesie, wie Heloise zu ihrem Geliebten sagen: giebt es einen noch wahreren, zärtlicheren, tieferen Ausdruck für das, was ich empfinde, so will ich ihn wählen. Das immerwährende Denken an die gesellschaftliche Convenienz verfolgt in Frankreich das Talent bis in seine geheimsten Regungen: und die Besorgniß, lächerlich zu erscheinen, ist das Schwert des Damokles, das kein Fest der Einbildungskraft vergessen machen kann.
    Man spricht in den Künsten häufig von dem Verdienste überwundener Schwierigkeiten; man hat aber dagegen mit Recht erinnert: daß man entweder diese Schwierigkeiten nicht merke und daß sie dann also auch nicht da seyen, oder, daß man sie merke, und daß sie dann nicht überwunden wären. Hindernisse lassen die Gewandtheit des Geistes hervorspringen; aber zuweilen findet sich bei dem wahren Genie eine Art Unbehülflichkeit, die in gewisser Hinsicht der Leichtgläubigkeit schöner Seelen gleicht, und man thäte Unrecht, das Genie einem willkührlichen Zwange zu unterwerfen, aus dem es sich bei weitem schwerer ziehen würde, als ein Talent zweiten Ranges.
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Zehntes Capitel. Von der Poesie.
    Das wahrhaft Göttliche im menschlichen Herzen kann nicht definirt werden; giebt es auch Worte für einzelne Züge, so fehlt es doch an solchen, die das Ganze und vorzüglich das Geheimniß des wahren Schönen in allen Gattungen auszudrücken fähig sind. Es ist leicht, zu sagen, was nicht Poesie ist; aber wenn man begreifen will, was sie ist, so muß man die Eindrücke einer schönen Gegend, einer harmonischen Musik, den Blick eines geliebten Gegenstandes, und vor allem das religiöse Gefühl zu Hülfe rufen, welches uns in uns selbst das Daseyn der Gottheit verkündet. Die Poesie ist die natürliche Sprache aller Gottes-Verehrungen. Die Bibel ist voller Poesie, Homer voll Religion: – nicht als ob Dichtungen in der Bibel und Dogmen im Homer wären; aber der Enthusiasmus sammelt verschiedene Gefühle in einen Brennpunkt; der Enthusiasmus ist der Weihrauch, der von der Erde himmelan steigt, um die eine mit dem andern zu verbinden.
    Die Gabe, durch Worte zu enthüllen, was man im Grunde des Herzens fühlt, ist selten; doch findet sich Poesie in allen Wesen, die heftiger und tiefer Gemüths-Anregungen fähig sind; der Ausdruck nur fehlt denen, welchen es an Uebung mangelt, ihn aufzufinden. Der Poet thut, wenn ich mich so fassen darf, nichts anders, als das im Grunde der Seele gefangene Gefühl entbinden; das poetische Genie ist eine innere Stimmung von gleicher Natur, als die ist, welche zu einer edlen Aufopferung fähig macht; eine schöne Ode dichten, ist so viel als den Heroismus träumen. Wäre das Talent nicht wandelbar, so würde es eben so oft schöne Thaten, als rührende Worte einflößen, denn beide fließen gleicherweise aus dem Bewußtseyn und dem Selbstgefühl des Schönen.
    Ein Mann von hervorstechendem Geiste sagte: die Prosa sey ein gemachtes Wesen, die Poesie natürlich. In der That fangen die wenig civilisirten Nationen immer mit der Poesie an; und, so wie eine starke Leidenschaft die Seele bewegt, so bedienen sich die gemeinsten Menschen, selbst dessen unbewußt, der Bilder und Metaphern, die äußere Natur zu Hülfe rufend, um auszudrücken, was Unausdrückbares in ihnen vorgeht. Das Volk steht der Poesie viel näher, als die Menschen, welche die gute Gesellschaft bilden: denn Convenienz und Persiflage können nur dazu dienen, Gränzen zu ziehen, nicht aber zu begeistern.
    Es findet in dieser Welt ein ewiger Streit zwischen Poesie und Prosa Statt; und der Spott muß immer der Prosa

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