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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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er für sie sorgen.
    Er ging weg, ohne sich zu verabschieden. Nichtsahnend hatte sie ihm noch Hausaufgaben aufgegeben, die er nach dem Wochenende abgeben sollte, und ihm kurz über den Kopf gestrichen. Und das war es dann.
    Die Hausaufgaben hatte er dennoch erledigt, das war Ehrensache.
    Der Bus hielt vor einem modernen Gebäude, auf dem in fröhlich bunten Buchstaben der Name der Schule geschrieben stand: DER REGENBOGEN .
    Im Gebäudeinneren beobachtete der Schulleiter mit einem fahlen Gesicht das Schauspiel, wie sein Büro sich mit Vätern und Kindern füllte.
    Als Petrus Vater bemerkte, dass sich der Schulleiter nur an den Sozialarbeiter richtete und lediglich hin und wieder einen abschätzigen Blick auf die Gruppe nervöser Männer und ordentlich angezogener Kinder warf, als hätte er eine Horde Vieh in seinem Büro, die jeden Moment mit ihren plumpen Bewegungen eine seiner kostbaren Schultrophäen umwerfen oder mit ihrem unkontrollierten Gestampfe versehentlich das Computerkabel herausziehen könnte, schob er seinen Sohn mit dem Befehl nach vorn, den Schulleiter zu fragen, ob er etwas dagegen hätte, dass sie am Unterricht teilnähmen. Er bestand darauf, dass Petru dem Schulleiter versicherte, jedes der Kinder, jedes einzelne, sei ein guter Schüler.
    »Papa, der Sozialarbeiter hat ihn das bereits gefragt. Darüber unterhalten sie sich nun.«
    »Mach schon, frag du ihn, sonst glaubt er womöglich noch, wir hätten nichts zu sagen. Los, mach, sag es ihm.« Er puffte Petru so hart in den Rücken, dass er beinahe in die Arme des Schulleiters gefallen wäre, der ihn unfreundlich ansah.
    Petru erschrak, als er bemerkte, dass das Gesicht des Schulleiters noch grauer wurde, als es ohnehin schon war.
    »Herr Schulleiter, mein Vater fragt, ob …«
    »Kleiner, hast du denn nicht gelernt, dass man zwei Erwachsene im Gespräch nicht unterbricht?«
    Er konnte hören, wie hinter seinem Rücken Nauni und Monty kicherten. Sein Vater gab jedoch nicht auf, sondern trat selber vor, und in einem Schwall stark stümperhaftem Niederländisch, in dem die Worte Kinder, Süler und gut Menschen obenauf trieben, fragte er, ob der Direktor die Güte habe, die Kinder in die Schule aufzunehmen.
    »Mein Herr, ich glaube, dass es weder in Ihrem noch in unserem Sinne wäre, die Kinder hier aufzunehmen. Diese Kinder hier brauchen Unterstützung, viele Mittel, Mittel, über die wir nicht verfügen. Wir sind bereit, gemeinsam mit Ihnen nach einer Lösung zu suchen. Sie müssen verstehen, dass die Unterstützung dieser Kinder sehr intensiv ist und viel Geld kosten wird. Ich habe weder genügend Lehrkräfte noch entsprechendes Unterrichtsmaterial. Eigentlich ist das eine Angelegenheit der Behörden. Außerdem geht es hier um Kinder, von denen wir nicht wissen, ob sie lange bleiben werden. Das Vagabundieren liegt ihnen wahrhaftig im Blut, nicht war? Einen Tag seid ihr hier, und am nächsten verschwindet ihr bei Nacht und Nebel. In solche Kinder zu investieren macht nicht viel Sinn, nicht wahr?«
    Mit einem freundlichen Lächeln hatte sein Vater dem Schulleiter geduldig zugehört. Manchmal hatte er sogar verständnisvoll genickt, während die Worte an seinem Gesicht abprallten wie peitschender Regen von der Windschutzscheibe eines stillstehenden Wagens. Die Klänge drangen zu ihm durch, während die Bedeutung an ihm abperlte. Petru schämte sich für seinen Vater zu Tode.
    Tatsächlich hatte keiner auf die Worte des Direktors reagiert.
    Petru dachte noch lange, nachdem sie die Schule bereits verlassen hatten, über die Worte des Direktors nach.
    Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sie je bei Nacht und Nebel verschwunden waren. Und was hatte er im Blut, das die anderen, die gadjo, nicht hatten? Was gab es da Ungewöhnliches, außer den roten und weißen Blutkörperchen, das in seinen Adern zirkulierte? Etwa Miniminiwohnwagen, in denen die Blutkörperchen durch seine Blutbahnen transportiert wurden, zu seinem Kopf und seinem Herzen?
    Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, sein Vater und seine Mutter, Monty und alle anderen, hätten wirklich etwas im Blut, das sie dazu antrieb, immer wieder wegzugehen. Und dann auch noch bei Nacht und Nebel.
    Seine Großmutter und Sara, das Nachbarmädchen in Temeswar, die hatten nie ihr Haus oder ihre Straße zurückgelassen. Die blieben, wo sie waren. Dennoch hatten sie dasselbe Blut, auch sie waren Roma.
    Jetzt, wo er daran zurückdachte, an die vielen Male, als seine Eltern und alle anderen hatten aufbrechen

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