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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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fünfzig gewesen sein, setzten sich mir gegenüber. Zunächst dachte ich, sie seien Kollegen, doch als ich bemerkte, wie der Mann flüchtig das Knie der Frau mit der Hand berührte, als er sich niederließ, da wusste ich, dass sie mehr als nur Kollegen waren, und das faszinierte mich. Anfangs drehte sich ihr Gespräch noch um die Arbeit. Sie war im Betriebsrat, und es gab einige drastische Maßnahmen, die sie beunruhigten. Während er ihr zuhörte, zog er seine Brille aus dem Jackett und faltete langsam die Zeitung auf. Und dann berührte die Frau die Innenseite seines Handgelenks, sehr sanft, doch mit sichtlicher Wirkung. Der Mann lächelte und bat sie, vor allem vorsichtig zu sein. »Es ist doch nichts dabei, Liebling«, sagte sie möglichst unauffällig. Sie lächelte und fing an, über die Vorbereitungen für ein Familientreffen zu plaudern, nur zehn Leute, kein großer Aufwand.
    Anna würde den Kuchen mitbringen, sie den Wein. Sie konnte wohl schlecht Oliven zum Kuchen anbieten, oder? Vielleicht würde sie noch ein Rosinenbrot backen. Sie legte ihm eine Hand auf den Schenkel. Ohne von der Zeitung aufzuschauen, bat er sie, vorsichtig zu sein. Ich bemerkte, wie er leicht errötete. Sie antwortete, dass sie äußerst vorsichtig sein würde, doch ihre Hand ließ sie auf seinem Oberschenkel liegen. Ich konnte das ganze Gespräch vom Anfang bis zum Ende rekonstruieren, ungeniert hatte ich zugehört und sie beobachtet. Ich habe noch nicht einmal versucht, es zu verbergen. Es war, als würde ich mir eine Folge irgendeiner flämischen Soap anschauen.
    Katja fand, ich sei zu weit gegangen. Ich hatte ihr davon erzählt, und sie meinte, es würde sie nicht überraschen, wenn ich mir demnächst eine ordentliche Tracht Prügel einhandelte. »Du kannst die Leute nicht einfach so beobachten. Das ist unhöflich und sogar übergriffig. Also verhalte dich bitte normal.«
    Es ist doch nichts dabei, wenn einen zwei Menschen faszinieren, die damit beschäftigt sind, gemeinsam alt zu werden, und die noch immer erröten können, wenn sie sich berühren.
    »Katja, würdest du mir eine Hand auf den Oberschenkel legen, sogar in einem überfüllten Zug, in dem übermüdete und schlechtgelaunte Fahrgäste uns auf die Finger schauen?«
    »Verhalte dich bitte normal, mich stört dieses übertriebene Getue allmählich.«
    Wenn sie nicht wirklich sauer auf mich war, flackerten bei ihr kleine Lichter in den Augen.
    Wir waren ziemlich damit beschäftigt, unser zukünftiges gemeinsames Leben zu organisieren. Bereits seit einiger Zeit suchten wir eine Wohnung.
    »Erzähl mir doch noch einmal die Geschichte von dem Mann und der Frau und den Oliven, die nicht zu dem Kuchen passen«, sagte sie dann manchmal. Einfach so aus dem Nichts heraus. Und ich schilderte ihr dann haarklein, was ich im Zug beobachtet und was die beiden zueinander gesagt hatten.
    »Wunderbar geiles Pärchen«, sagte sie, bevor wir Arm in Arm die soundsovielte Wohnung betraten, als hätten wir freie Wahl.
    Es gab zwar reichlich Auswahl, doch eine Wohnung zu finden, die genau zu uns passte, schien nahezu unmöglich zu sein.
    Mir fiel auf, dass in bestimmten Vierteln die einzige dort existierende Farbe auf der Straße anzutreffen war. Die menschlichen Lagerhäuser, die sich nebeneinander auftürmten, blickten kalt auf uns herab. Ich hatte das beklemmende Gefühl, dass die Zeit hier in diesen fahlen, grauen Backsteinfassaden eingemauert war. Stillstand. Wir sahen uns einige Wohnungen an, die man nur über steile Treppen erreichte, ausgelegt mit einem PVC-Belag, der ungewollt eine Vintage-Atmosphäre verströmte. Wiederholt wurden wir durch schmale Flure geführt, in Zimmer, in denen sich eine gestreifte Tapete für die Dauer des Besichtigungsbesuchs mannhaft aufrecht zu halten versuchte. Manchmal gab es auch Zimmer, die mit einer Holzvertäfelung ausgekleidet waren, was aber dennoch nicht verhinderte, dass der Feuchtigkeits- und Schimmelgeruch wie ein böser Geist in den Zimmern umherschwebte. Ich wurde in Wohnungen geführt, in denen ich mir instinktiv die Jacke zuknöpfte. Keine Orte zum Wohlfühlen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Menschen hier glücklich wurden. Wie sie hier essen, schlafen und zur Ruhe kommen sollten. Wie sie sich daheim fühlen sollten, zwischen vier Wänden, die nur dazu dienten, Regen und Wind abzuhalten.
    Es gab auch andere Wohnungen. Schöne, großzügige Wohnungen, die durch riesige Fenster mit Doppelverglasung wie ein himmlisches Geschenk das ganze

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