Ueber die Liebe und den Hass
sich jemanden ausgesucht, der so war wie sie, den sie kannten. Meine Eltern reagierten genauso. Sie hatten Angst. Katja und ich drängten auch nicht mehr darauf, dass die Eltern sich einmal kennenlernten. Vorläufig wollten sie das noch nicht. »Was soll ich denn zu denen sagen?«, fragte meine Mutter immer, wenn ich einen vorsichtigen Anlauf unternahm. Vielleicht hofften sie darauf, ein gemeinsames Kennenlernen würde sich erübrigen. Vielleicht hofften sie darauf, wir würden das Ganze früher oder später wieder fallenlassen, und jeder von ihnen könnte sich wieder sicher in seiner eigenen Welt verschanzen, ohne Sprachverwirrungen und befremdende Erfahrungen.
Meine Mutter hat mich lange angefleht, doch bitte »ein Mädchen von uns« zu nehmen. Mit ihr könnte sie sich dann wenigstens unterhalten. Mit ihr könnte sie dann auch auf Hochzeitsfeiern prunken, gekleidet nach der neuesten marokkanischen Festmode. »Sieh nur, sieh, das ist nun die Frau meines Sohnes«, würde sie dann stolz sagen. Und die Frauen würden sie bewundern und mit mâschallâhs und mabrouks bejubeln. Sie bat eigentlich nicht um viel, meine Mutter.
»Katja kann doch auch ein marokkanisches Kleid anziehen und mit dir zu den Festen gehen«, versuchte ich es dann.
»Sie ist rotblond und viel zu mager. Sie wird furchtbar lächerlich aussehen, auch in dem schönsten Kleid!«
Ich ersparte ihr die Vorstellung, dass Katja mit Jeans und engem T-Shirt verdammt gut aussah.
Stef, Katjas Bruder, war ein seltsamer Kerl. Ein gleichgültiger Typ. Ihm war ziemlich egal, was um ihn herum passierte, Hauptsache, er wurde da herausgehalten. Seine Gleichgültigkeit war nicht gespielt.
Ich will damit sagen, dass er nicht aus Machtlosigkeit die Dinge geschehen ließ. Ihn ließen die Dinge wirklich einfach kalt.
Diese Haltung war für ihn und seine Freunde nicht viel mehr als eine originelle Art, die Welt zu betrachten. Nicht lasch, sondern cool.
Er hatte keine Meinung über die Gesellschaft und wusste auch nicht, wie ein Idealbild von ihr auszusehen hätte. Was er allerdings besaß, das waren seine Springerstiefel, die ihm heilig waren, sowie einen Satz flotter Sprüche, mit denen er ab und zu seine Freundinnen schockieren konnte. Sein Lieblingsspruch war: »Man hätte Hitler mehr Zeit geben sollen, um sein Werk zu vollenden.«
Und das war’s dann auch schon. Ansonsten verhielt er sich so, wie alle anderen in seinem Alter sich in diesem Teil der Welt verhalten: überdrüssig und gelangweilt.
Solange er seine Bücher, die Musik und sein Blitzkrieg Wargame online hatte, solange er ab und zu mit den dazugehörenden Pillen auf den Putz hauen konnte, war für ihn die Welt vollkommen in Ordnung.
Und dennoch traute ich ihm nicht, weil Gleichgültigkeit und Unparteilichkeit keine Optionen in dieser Welt sind.
Und ohne mir dessen bewusst zu sein, sollte ich der direkte Anlass für Stefs erste bewusst getroffene und einschneidende Wahl werden.
Seine Freunde nannten ihn ein Weichei, einen Verräter. Seine Freunde waren der Ansicht, dass er selbst in Angriff nehmen musste, wozu seine Eltern nicht mehr in der Lage waren, weil sie schon viel zu stark von ihrem Multikultitrip benebelt waren.
Sie fanden, es sei jetzt an der Zeit, ihnen zu beweisen, dass er es auch wert war, zu ihrer Gruppe zu gehören, und sie wollten sehen, ob mehr in ihm stecke, als immer nur von Level zu Level weiter nach oben zu kommen, indem er eine erfolgreiche Offensive gegen die Amerikaner während der Schlacht um die Ardennen landete. Die Geschichte schrieb er mühelos um, dank seinem brillanten strategischen Verständnis. Er ließ virtuelles Blut fließen, ohne mit der Wimper zu zucken. Nie nahm er Kriegsgefangene. »Beweis uns, dass du mehr als nur ein Gameboy bist.« Sie ließen ihn zurück, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Das war nun seine Entscheidung. Er konnte jemand sein, endlich etwas tun, etwas, das zählte.
Und so entstand der Plan für den Anschlag.
Keiner wusste etwas davon. Am wenigsten Katjas Eltern. Sie gewöhnten sich allmählich an uns. Sie hatten sogar damit aufgehört, an »die Hochzeit ihrer Tochter mit dem Marokkaner« zu denken.
Für sie wurde ich allmählich zu einer Person. Wir beherrschten inzwischen die Kunst des Miteinander-Redens. Nur das gemeinsame Lachen wollte uns noch nicht so recht gelingen, aber das würde noch kommen. Da war ich ziemlich optimistisch.
Wir hatten gerade Mevrouw Verdun besucht, Katjas Großmutter, die seit zwei Jahren, seit es mit ihr
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