Ueber die Liebe und den Hass
unverhohlener Wut stieß Karim seine letzte Rauchwolke aus.
Johan schwieg. Er sagte noch nicht einmal etwas über Verzeihen, Versöhnung oder Schicksalsergebenheit.
Vor ein paar Wochen war Johan, unter dem zustimmenden Blick von dem Roten, von einer Gruppe Inhaftierter nach allen Regeln der Kunst zusammengeschlagen worden.
Der Rote hatte vor, jeglichen Glauben aus Johan herauszuprügeln. Und Der Rote hatte alle Zeit der Welt, das auf seine Art zu lösen. Johan würde noch lange nicht herauskommen.
Als ein paar Inhaftierte behauptet hatten, sie fühlten sich von Johans Bekehrungseifer bedrängt, wurde er in eine Isolierzelle verlegt. Er kehrte erst dann in den normalen Bereich zurück, als sein Rechtsanwalt eine einstweilige Verfügung gegen das Gefängnis angestrengt hatte.
Nach dem Spaziergang wurden sie wieder in ihren Zellen eingesperrt. Der Rote machte das mit der für ihn typischen Art, stoßend und fluchend. Beim Öffnen der Zellentür schickte er ihnen jedes Mal eine Verwünschung hinterher.
»He, Chef, können Sie nicht etwas freundlicher mit Menschen umgehen?«
»Ihr seid keine Menschen.«
»Für Sie sind Gefangene also keine Menschen?«
»Hab ich das gesagt? Einige Gefangene sind Menschen, aber ihr, ihr seid schlimmer als Vieh. Hätte ich hier das Sagen, würde ich euch krepieren lassen.«
Der Rote versetzte ihm noch einen Stoß, und die Tür krachte dröhnend hinter ihm zu.
Obwohl ihm bewusst war, dass es nicht viel brachte, verfasste er erneut eine Eingabe an die Leitung seines Gefängnistraktes. Sobald er noch ein paar weitere Gefangene zusammenbekommen hatte, würde er den Brief wieder an die OVRI einreichen. Sie hatten bei seiner ersten Klage den Bescheid des Ministers unterschrieben, und zwar dahingehend, dass der Aussage eines Wachdienstleiters die Aussage von zwei oder mehr Inhaftierten als Zeugen gegenübergestellt werden musste.
Die Nacht brach an. Durch den schmalen Fensterschacht oben an der Zellenwand konnte er sehen, wie sich die Farbe des Himmels von Dunkelgrau zu Schwarz verfärbte. Anfangs hatte er es als unangenehm empfunden, auf das Fenster zu schauen, während er im Bett lag. Es gelang ihm nie länger als ein paar Sekunden, nicht auf das Fenster zu starren. Er konnte es einfach nicht lassen, den dünnen Himmelsstreif anzuschauen, von dem er wusste, dass er unendlich viel größer war als das winzige Stück, das ihm erlaubt war zu sehen. Manchmal trieben Wolken vorüber, auf dem Weg irgendwohin zu einem fernen Horizont, und seine Gedanken trieben dann ruhig mit, doch meistens blieb das Stückchen Grau unbeweglich und leer, und er fühlte sich von allen verlassen. Als gäbe es für ihn keine Zukunft mehr. Er stellte sich auf eine weitere schlaflose Nacht ein. Seltsamerweise gab ihm das gedämpfte Treiben auf den Gängen ein wenig Trost. Es baute ihn auf, er war nicht allein.
Still betete er: »Lass ihn nicht kommen, Gott, lass ihn heute Nacht nicht kommen.«
Er drehte sich auf die Seite, mit dem Gesicht zur Wand. In der Brustgegend spürte er einen stechenden Schmerz, weil er nur kurz und flach atmete. Er hoffte, sich damit unsichtbar zu machen. Vor allem durfte er sich jetzt auf gar keinen Fall bewegen, keinen Zentimeter. Er versuchte die Krämpfe zu ignorieren, die durch seine angezogenen Beine schossen. Er musste sich beherrschen, denn er wollte nichts lieber, als sich der Länge nach ausstrecken und tief einatmen. Er musste sich schlafend stellen und dabei zugleich im Dunkeln raubtierähnlich seine Sinnesorgane schärfen.
Plötzlich vibrierte die Luft. Er konnte es spüren, und er versuchte sich einzureden, es sei alles nur Einbildung. Für einen Moment setzte sein Atem aus. Da war es wieder. Es ähnelte einem lästigen kleinen Insekt, das knapp an seinem Ohr vorbeisummte, um dann von den dunklen Ecken der Zelle verschlungen zu werden.
Nahezu gleichzeitig spürte er die Wärme in der Zelle, die die Anwesenheit des kleinen Jungen verriet.
Aus der dunkelsten Ecke hörte er ein Scharren. Der Junge tauchte auf.
Schnell setzte er sich auf, schwang die Beine über den Bettrand und fixierte den Jungen. Sein Gesicht war blass. Das schwarze Haar hing ihm vor die wachsamen Augen. Er schätzte ihn auf ungefähr zehn.
Der Junge kam ein paar Schritte näher und reichte ihm wortlos eine Hand. Sie sahen einander an. Das konnte nur der Teufel sein, der kam, um ihn verrückt zu machen. Eine andere Erklärung konnte es dafür nicht geben.
»Was willst du von mir? Lass mich in
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