Ueber die Liebe und den Hass
Geduld.
Er hatte Johan einmal gefragt, woher es komme, dass er sich der Strafe, die ihnen allen auferlegt war, nahezu empfindungslos unterwarf. »Es hat alles keinerlei Bedeutung, die Welt da draußen und die Welt hier drinnen. Es ist alles nur von vorübergehender Natur, und ich bin ein Reisender, ich bin im Transit«, hatte er ihm ungerührt geantwortet. Er konnte seine Gleichgültigkeit nicht verstehen. Er und Karim empfanden ihren Aufenthalt hinter den Mauern als die schrecklichste aller Strafen.
Zunächst hatten sie rebelliert, dann verzweifelten sie und wurden ängstlich. Er konnte an nichts anderes denken. Besonders während der ersten Wochen der Inhaftierung dachte er vierundzwanzig Stunden am Tag daran, dass er die Türen nicht öffnen konnte, wann er wollte. Die Eintönigkeit der vielen Stunden machte ihn fast wahnsinnig, ebenso die Vorstellung, dass eine Woche sieben Tage hatte, ein Monat vier Wochen und nur zwölf dieser endlosen Monate ein einziges miserables Jahr ergaben. Nach dem ersten qualvollen Jahr war seine gute Absicht, ein besserer Mensch zu werden, von einer glühenden Wut verzehrt worden.
Johan ergab sich allem. Er hatte sich seinem Schicksal gefügt. Sein Aufenthalt hier würde ihn näher zu Gott bringen.
Nach der Haft würde ihm die Welt mit ihren vielen dekadenten Erscheinungsformen gar nichts mehr bedeuten.
Deshalb weigerte Johan sich auch, einen Antrag auf Haftverkürzung zu stellen, wohingegen er und Karim beide sogar dem König ein Gnadengesuch vorgelegt hatten.
Der König hatte ziemlich schnell darauf geantwortet und ihnen höflich mitgeteilt, ihr Gesuch an das dafür zuständige Ministerium weitergeleitet zu haben.
Daraufhin hatte er seine Klage gegen »Den Roten«, den Wachdienstführenden, niedergeschrieben und an den Minister geschickt, mit einer Kopie an das OVRI, die Organisation zur Verteidigung der Rechte Inhaftierter. Er fand, es sei nun, da der König sein Gnadengesuch an den Minister weitergeleitet hatte, der richtige Moment gekommen. Die Antwort des Ministers ließ länger auf sich warten als die des Königs, und als der Brief endlich eintraf, erfüllte er keineswegs die hoch gespannten Erwartungen.
Der Minister teilte ihm mit, man habe den Vorgang geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass bei der Vergabe der Arbeitsstellen an die Häftlinge kein Fehler gemacht worden sei, zudem liege auch nicht der Tatbestand der Diskriminierung vor. Des Weiteren entbehre der Vorwurf des Rassismus seitens des Wachdienstleiters jeglichen Beweises. Hier stehe sein Wort gegen das Wort des Wachdienstleiters, und sie sähen keinerlei Veranlassung, der Sache noch weiter nachzugehen. Der Minister grüßte ihn noch freundlich und achtete ihn hoch.
Der Inhalt des Briefes hinterließ bei ihm einen bitteren Nachgeschmack. Zwischen den Zeilen hatte er herausgelesen, dass der Minister ihn ermahnte, ihn nicht weiter mit solchen Lappalien zu belästigen, er sei ein verurteilter Krimineller, der sich zu fügen habe, dass ein Prozess gegen die Wachhabenden aussichtslos sei, dass seine Worte unglaubwürdig seien und dass keine Zeugenaussage gegen das Wort eines einzigen Bewachers einer staatlichen Einrichtung Bestand habe.
In diesem Punkt musste er Johan Recht geben. Johan erwartete vom Staat kein Wohl, er vertraute ausschließlich auf die Barmherzigkeit des Einen.
Inzwischen hatte sich Johan zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Brüder zur Wahrheit zu missionieren.
Er war eines von Johans ersten Bekehrungsobjekten. »Lass mich, ich bin ein amazigh , ein freier Mann«, war seine Reaktion gewesen.
Johan gab nicht so schnell auf. »So wirklich frei bist du meines Erachtens aber nicht. Amazigh und Knast, das passt nicht ganz zusammen, oder?«
Er hatte ihn von sich gestoßen, doch Johan de Salafi liebte die Herausforderung und warf ihm theologische Beweise an den Kopf, denen er mit der Geschicklichkeit eines Athleten auswich, bis dann Karim ankam.
»Der Rote« hatte an diesem Morgen Aufsicht. Sie sahen, wie er mit seinem typischen Blick in ihre Richtung schaute. Er verachtete Menschen anderer Hautfarbe. Doch Muslims mussten mit einer noch größeren Verachtung rechnen, ihm war es dann auch vollkommen egal, welche Hautfarbe sie hatten. Er hasste alle Muslime, weiße und schwarze. Vor allem Johan hatte einen schweren Stand bei ihm.
»Ich schwör’s, wenn mir dieser Dreckskerl jemals draußen über den Weg läuft, dann mach ich ihn kalt, und die können mich hier für immer einlochen.«
Mit
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