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Ueber die Liebe und den Hass

Ueber die Liebe und den Hass

Titel: Ueber die Liebe und den Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachida Lamrabet
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bis zu dem Haus und sah zu, wie das Mädchen den pudrigen roten Sand vorsichtig in eine rote, leicht angeschlagene Schale ablud. Sie nahm eine in der Mitte halbierte Plastikflasche, die sie mit trübem Wasser gefüllt hatte. Im Schatten saßen, schön ordentlich nebeneinander aufgereiht, ein paar Püppchen, die aus gekreuzten Rohrstöckchen konstruiert waren und Kleider aus Glitzerstoffresten trugen. Sie sahen ausgehfertig aus, bereit für ein Fest. Das Mädchen machte mit seinen Vorbereitungen des Festmahls weiter, und der Junge fuhr den Laster mit leerer Ladefläche zurück.
    Der Laster hatte seinen ersten Auftrag erfolgreich absolviert, und von diesem Augenblick an akzeptierten alle Kinder stillschweigend, dass er nicht mehr zur Welt des Spielzeugs zählte. Der Laster war nun nicht mehr Teil des Spieles, das die aufkeimende Langeweile während der langen, heißen und nahezu bewegungslosen Mittagszeit im Dorf vertrieb.
    Der Laster war von nun an genauso echt und wertvoll wie die wenigen klapprigen Kinderfahrräder im Dorf.
    Feierlich übergab der Junge den Laster seinen Erbauern und gesellte sich wieder zu ihm. Stillschweigend reichte er ihm die Hand.
    Erneut drückte er die Hand des Jungen, um ihm damit zu zeigen, wie sehr er diese Geste, diese unerwartete Reise zu schätzen wusste. Der Junge sah ihn an, lächelte und ließ ihn dann wieder los.
    Als er die Augen öffnete, schienen die Wände auf ihn niederzustürzen. Obwohl er im Dämmerlicht die Gegenstände in seiner Zelle noch recht gut sehen konnte, war der Raum in ein Schwarz getaucht, das schwer auf ihm lastete, ihm in die Nasenlöcher drang und sich über den Weg der Lungen so tief in seinen Körper fraß, dass er sich fast nicht mehr rühren konnte. Das Schwarz war dick und undurchlässig, und es verdrängte den Sauerstoff in der Zelle. Er schnappte nach Luft.
    In der Ferne hörte er die Schlüssel. Es wurde hell.
    Der kleine Junge war nicht mehr da.

Âchira Airlines
    An dem Tag, als Hannelore Vederlicht beschlossen hatte, sich nicht mehr weiter um die himmelschreiende Sinnlosigkeit ihres Daseins zu kümmern, wurde sie von außerirdischen Wesen entführt.
    Ich weiß das aus einer äußerst sicheren Quelle. Sie hat es mir selbst erzählt. Und ich bin ganz bestimmt nicht der Typ, der alles glaubt, was jemand einem erzählt. Ich bin ein durch und durch rationaler Mensch, obwohl mein Kopftuch Sie das genaue Gegenteil vermuten lassen könnte. Deshalb ignorierte ich dieses merkwürdige Geständnis zunächst, dachte, es sei das blödsinnige Gequassel eines Menschen, der auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Klarheit balancierte. Eine Fähigkeit, die mir während der Zeit damals auch nicht fremd war.
    Zum ersten Mal sah ich sie an einem grauen Morgen im Februar, nach dem Frühstück im Gemeinschaftsraum.
    Es war ein Mittwoch. Ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen, weil es einer dieser seltenen Tage war, an denen es schneite. Nun ja, Schnee war vielleicht etwas übertrieben. Es war das erste Mal, dass sich in diesem zögerlichen Winter fast durchsichtige Flocken dazu herabließen, auf die Erde hinabzutrudeln. Sie taten es mit einem derartigen Hochmut, dass sie sich bei Berührung mit dem Boden sofort auflösten.
    Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass es an diesem Morgen geschneit hatte. Ich erinnere mich sogar noch daran, dass später an diesem Tag der Mann vom Wetterbericht nach den Nachrichten kein Wort über den Schneefall verloren hatte.
    Hannelore Vederlicht kam an diesem besagten Morgen in den Gemeinschaftsraum. Sie trug einen grottenhässlichen, dünnen, grauen Pullover, in der Hand hielt sie eine Zigarette und auf dem Kopf, echt wahr, glitzerten ein paar Schneeflocken. Ich konnte gerade noch erkennen, wie die Schaumkrönchen in sich zusammenfielen und an ihrem lilafarbenen Haar hinabtröpfelten.
    Sie war die Ikone der trendigen Hoffnungslosigkeit. Als gehöre es zu ihrem Wesen, wie ein begossener Pudel herumzulaufen.
    Sie zog an der Zigarette und machte keinerlei Anstrengungen, die Tropfen wegzuwischen, die ihr von der Stirn in die Augen rannen.
    Sie ähnelte einer Schaufensterpuppe von H & M. Androgyn und fragil. Als würde sie hinter einer großen Schaufensterscheibe stehen und von dort aus unverwandt die Leute anstarren, die antriebslos in dem Raum abhingen.
    Ich wendete den Kopf von ihr ab, weil ich, und nicht etwa sie, zu zittern anfing.
    Erst ein halbes Jahr darauf würde ich sie wiedersehen und auch mit ihr

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