Ueber die Liebe und den Hass
nicht gut bekommen ist. Roger hatte einen Spitznamen für Ali, mit dem er ihn ausschließlich rief: Ali Petit Singe Noir, Ali, kleiner schwarzer Affe.
Damals war Sprachunterricht noch nicht Pflicht, und das war auch gut so, denn sonst hätte Ali Roger schon viel früher eins in die Fresse geschlagen, und aus der Arbeit dort wäre nichts geworden. Den ganzen Tag lang ging das so: »Ali Petit Singe Noir, mach dies …«, »Ali Petit Singe Noir, halt die Maschine an …« Ali verstand, was von ihm verlangt wurde, aber er wusste nicht, dass sein Spitzname rassistisch war. Und deswegen führte er pflichtbewusst die Aufträge aus und lächelte dazu noch freundlich und nichtsahnend.
Bis zu einem bestimmten Tag.
Ein neuer marokkanischer Arbeiter stieß zu ihnen, er hatte sogar in Marokko studiert. Und er verstand und sprach auch ausgezeichnet Französisch. Er wurde herzlich von seinen Landesgenossen aufgenommen, für die er als Wortführer schon bald unabkömmlich wurde. Anfangs arbeitete er fleißig und schweigsam mit. Doch dann begann er immer öfter die anderen auf Sachen hinzuweisen, die seiner Meinung nach nicht in Ordnung waren, wie zum Beispiel die getrennten Umkleideräume, die unregelmäßigen Arbeitszeiten, die Arbeitsverteilung, die immer so ausfiel, dass die Belgier stets die weniger anstrengenden Aufgaben zugeteilt bekamen, und noch vieles mehr. Anfangs hatten sie ihm kein Gehör geschenkt. Einige unter ihnen fanden es sogar normal, dass man dort unterschiedliche Maßstäbe anwendete. Vor allem Ali hatte es nicht so sehr mit »diesem studierten Typen und seinem klassischen Arabisch«.
Fast wäre es zu einer Rangelei zwischen ihnen gekommen. Ali nannte den Studierten einen Unruhestifter, und der Studierte antwortete, er sei lieber ein Unruhestifter, als andauernd »schwarzer Affe« genannt zu werden und darüber dann auch noch zu lachen.
Plötzlich wurde es totenstill.
Ali ließ langsam seinen erhobenen Arm wieder sinken.
»Wer nennt mich hier einen Affen?«
Nur an den Augen konnte man erkennen, dass in Alis Kopf ein Orkan aufzog, der alles, was sich in seinem Weg befand, mit ganzer Kraft wegfegen würde.
»Was glaubst denn du, was Roger mit ›Ali Petit Singe Noir‹ meint?«
Stille.
»Ali, kleiner schwarzer Affe.«
Auch wenn es sich um eine Übersetzung ins klassische Arabisch handelte, spürte Ali in jedem Zentimeter seines 1 Meter 60 großen Körpers die Bedeutung jedes einzelnen Wortes. Ohne etwas zu erwidern, drehte er sich um und suchte Roger. Er traf ihn über einen großen Bottich mit rosa Farbe gebeugt an. Geschickt versetzte er ihm einen gezielten Tritt gegen das Bein. Blitzschnell drehte sich Roger um und blickte in die funkensprühenden Augen des Mannes von den Aîth Ahros.
» Qu’est-ce qui te prend! Ç a va pas la tête, Petit Singe? Sag, mal, du kleiner Affe, bist du noch ganz richtig im Kopf, oder was soll das?«
» Moi, Petit Singe Noir pour Roger? Ich kleine schwarze Affe für Roger?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fiel Ali Roger an und verprügelte ihn nach Strich und Faden. Mit beiden Fäusten holte er aus und sprang hoch, um den großen Mann auch im Gesicht und im Rücken zu treffen. Er zog ihn an den Ohren und verdrehte ihm den Arm. Roger befand sich inmitten des Orkans. Ein Entkommen war unmöglich. Er versuchte es zwar, doch Ali war ihm immer voraus. Noch ein kräftiger Stoß, und Roger landete schließlich im Bottich mit der rosa Farbe.
Ein von oben bis unten rosa glänzender Roger kam mühsam wieder zum Vorschein. Ali stand vor dem Bottich, er atmete noch heftig und sah Roger wütend an.
» Maintenant toi Roger Grand Cochon Rose! Jetzt du Roger groß rosa Schwein!«
Die Arbeiter, die sich um die beiden geschart hatten und deren dunkle Hautfarbe den Kontrast noch stärker erscheinen ließ, brachen alle zusammen in schallendes Gelächter aus. Wochenlang lief Roger mit einem babyrosa Schimmer auf der Haut herum, doch den Spitznamen, den er Ali gegeben hatte, nahm er nie wieder in den Mund. Er hingegen blieb bis zu seiner Frühpensionierung »Roger, das große rosa Schwein«.
»Machen wir hier einen Stopp? Dann kann ich auch mal kurz zu Hause anrufen«, fragte Boulif.
H’med fiel ein, dass er das auch dringend tun musste. Er machte sich keine Sorgen, denn seine Frau regelte alles immer sehr gut ohne ihn. Er gab es nicht gern zu, doch manchmal machte seine Frau, mit Unterstützung ihrer Tochter, alles noch viel besser als er. Die Zeiten änderten sich nun einmal. Das
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