Ueber die Verhaeltnisse
verschafft. Wenn ihn etwas reut, dann, daß er nicht von Anfang an durchgegriffen hat.
Einheit, das ist es, worum es geht. Die Gleichheit ist zu wenig konkret, um Wahrheit zu werden. Keinen von den alten Ansprüchen darf man so einfach über Bord werfen. Die Freiheit aber ist ins Kraut geschossen. Jeder kann alles sagen, selbst gegen ihn, den Chef, und gar nichts passiert. Mit der Brüderlichkeit aber steht es am schlimmsten. Ihm stellen sie die Fettnäpfe auf, diese Brüder. Nur beim Kassieren stehen sie dicht an dicht.
Und die, die nichts nehmen, sind die Allergefährlichsten, weil man ihnen schwer ankann. Er rechnet sich selber dazu.Es sei denn, sie knirschen zu vernehmlich im Getriebe. Die paar Fanatiker, die den Staat abschaffen wollen, schaffen sich naturgemäß selber. Wenigstens darum braucht er sich nicht zu sorgen!
Noch weiß er, wo Gott wohnt und er selber. Er hat sich eine Aufgabe gestellt, und so eine Stellung gibt man nicht einfach her. Auch wenn er vor Anstrengung seine Rüstung naßrostet. Er ist ein altgedienter Mann der Bewegung, und er wird nicht zulassen, daß sich die Bewegung verselbständigt. Was braucht dieses Land schon groß in der Welt dazustehen? Ihren Platz sollen die Leute haben, das ist es. Die richtige Mulde und geregelte Angelegenheiten. Auf zu großem Fuß sind schon manche über sich selber gestolpert. Gut Freund mit dem Nachbarn, das ist seine Devise, aber dieses Land lebt seit jeher über die Verhältnisse.
Ein Journalist ist bei ihm angesagt und ist überfällig, ganze zehn Minuten. Selbst das trauen sie sich jetzt schon. Er wird es sich nicht gefallen lassen. Auch die Presse wird zur Kenntnis nehmen müssen, daß er sich von ihr nicht papierln läßt. Und während seine Sekretärin eine Tasse Kaffee holt, stiehlt er sich über die Dienstbotentreppe davon, auf das einzige, was ihn jetzt noch beruhigen kann, eine Halbe Bier im SPANFERKEL.
Es hat gekracht im Land. Ein Trumm Stein ist aus der Fassade gebrochen – verwundert blinzeln die Mehlwürmer ins Scheinwerferlicht. Kein Victory-Zeichen, eine Speerspitze, zu der Titan und Titanic in einen einzigen wunden Punkt zusammenlaufen.
»Ins Mark, ins wirtschaftliche Mark«, kann Mela den Chef wimmern hören, den Blick zu einem Punkt an der Wand über ihrem Kopf erhoben, der sich für sein schreckgeweitetes Auge nun auch schon wie jene entlarvende Menetekel-Rune ausnimmt. »Alle reden vom System, ich rede von den Nutznießern.« Er schwitzt wie sein Bierglas, wischt sich die Hände am vorbeugend gewählten Nadelstreif, der ihn schlanker erscheinen läßt in den Abendnachrichten.
»Alles nicht wahr«, bezieht er sich dräuend auf die anderen, die behaupten, für ihn sei Unfähigkeit ein Kavaliersdelikt. »Wahr ist vielmehr …« Noch zieht Rauch über die Trümmer und vernebelt die weiteren Sprünge, für die erst recht kein Mörtel da ist.
Und wieder hat keiner was gewußt, es nicht wissen wollen. »Mich schonen?« brüllt er, »das ist noch keinem eingefallen.« Während die zuständigen Vulkan-Beobachter schnell noch ihre Schwimmbecken verlegen lassen, steht er mit beiden Beinen in der Lava festgeascht und äugt durch den Operngucker nach der Rettungsmannschaft. Noch kann er die Finger hebenzum Dirigieren, und er ist sicher, daß das Volk wiederum verzeiht. In Zeiten wie diesen muß es ein Volk geben, das man ums Durchhalten bitten kann, indem man ihm alle Anstrengung des Gottsoberen verspricht; noch ist er an der Macht. Und sein Gegenspieler bringt auch keinen geraden Satz heraus. »Also bitte, das ist keine Alternative.«
Es ist der spektakulärste Krach, wenn auch nicht der teuerste, dieser letzten Jahre, und er geht ins Mark. »Ins Mark …« Sogar das System schwankt ein wenig unter der Druckwelle. Das Volk murrt – schon wieder muß er ans Volk denken –, aber es hat schon oft gemurrt. Das ist zum Hinkriegen! Solange die Fassade nicht fällt, zur Gänze fällt. Er jedenfalls hält sich fest an der Struktur, es wird schon aufhören, sie zu beuteln. Verrat, das ist es. Verrat der Freibeuter an die Freibeuter. Er wird sie aus ihren Horsten räuchern. Das Hemd kann er ihnen zwar nicht ausziehen, aber jetzt heißt es Bewegung: Gemma – Marsch!
Der Krach war so laut, daß selbst Mela erschrocken ist. Im Geist überschlägt sie die Bücher – ihr Gewerbe ist sauber. Soll der Chef nur dazuschauen, wie er das Wrack wieder flottkriegt. Wenn sie so arbeitete, würde im SPANFERKEL bald keiner mehr Mahlzeit! sagen. Das behält
Weitere Kostenlose Bücher