Ueber die Verhaeltnisse
das, obwohl die Matura schon Monate zurücklag. Diesmal ist Frô zwanzig, und der Geburtstag ist an einem Mittwoch. Bevor das Abendgeschäft beginnt, hilft sie ihrem Kind bei der Vorbereitung.
»Ich habe«, sagt Frô, »beim Zahnarzt eine alte Wochenzeitschrift gelesen. Und da stand die Geschichte von dem Tiroler Bauern, der einrücken muß. Da aber seine Frau ein kleines Kind und eine bettlägrige Verwandte zu versorgen hat, kann sie nicht auch noch den Bauernhof allein bewirtschaften. Da hat der Tiroler Bauer seine sieben Kühe mit in die Kasernegenommen. Stell dir vor, alle sieben Kühe …« Und Frô lacht und lacht, wie Mela sie noch nie hat lachen hören.
Da fährt Mela das Mutterschwert durchs Herz. Sie schenkt sich einen Cognac ein und muß sich setzen. Dieses Kind hat einen Lacher, den kein Cognac wegspült. Entgeistert registriert sie das Zurückspringen der Zeit. Es ist ein väterlicher Lacher, der sie in so ausgiebige Verwunderung stürzt, daß sie vergißt mitzulachen.
»Wie findest du das?« Frô setzt sich zu ihr, ohne die schwebende Selbdritt-Konstellation zu erfassen.
Pflichtschuldig beginnt Mela zu lächeln. »Das muß einem einfallen. Diese Art Mutterwitz …« Und sie lehnt sich zurück.
»Weißt du«, Mela legt den Arm um Frô, nach zwanzig Jahren kann sie nichts Väterliches mehr brauchen, »als es damals um deinen Namen ging, mußte ich auch den alten Almanach mit aufs Standesamt nehmen, damit man mir glaubte.«
»Erzähl«, sagt Frô, und Mela schmeißt sich in die Riemen, bis Frô sich als Säugling in ihren Armen sieht. Sie erfährt, wie sie ausgesehen hat, an jenem ersten Tag, so gar nicht verschrumpelt und fernasiatisch wie die gewöhnlichen Kinder, sondern glänzend und rund wie eine Mohnkapsel, sogar mit Frisur, und zwar von Anfang an. »Und das ganze Jahr ist dein Bettchen neben meinem Bett gestanden, und wenn du auch nur gemaunzt hast im Schlaf, war meine Hand bei dir, du hast weitergeschlafen. In jeder freien Minute bin ich heraufgekommen, und wenn die Kinderfrau ihren Mittagsschlaf schlief, habe ich dich in meinem Schoß geschaukelt.«
Je länger Mela spricht, desto mehr verfällt sie in jenen Ahninnen-Singsang, während Frô, das smaragdgrüne Schlänglein aus der Feenwelt, gebannt von dem Rhythmus, leise dazu mit dem Kopf schwingt.
Als es dann läutet, fahren Mutter und Tochter gleichermaßen erschreckt aus der Beschwörung auf, aber diesmal ist es Mela, die lacht. »Mir scheint, deine Gäste.« Und als sie öffnet, plätschert prustend, in noch glänzenden Regenmänteln, das Haar zur feucht gekrausten Mähne geballt oder triefend an den Kopf geklatscht, ein Schwall von besten Freundinnen, die Arme voller Blumen und in Nylonsäcken versteckter Geschenke. Während sie sich lachend aus ihren imprägnierten Häuten schälen und ihre Päckchen befreien, flüstert Mela in Frôs noch benommenes Ohr: »Ist das heute ein Nixen-Sabbat, ganz ohne Wassermänner?«
»Kann sein«, lächelt Frô, »aber vielleicht kommt noch einer.«
Nach der Sperrstunde bleibt Mela lang über ihren Büchern sitzen – ihr Weisheitszahn – und schabt mit dem Bleistift am Haaransatz. Sie haßt die Zahlen, die so gar nicht abstrakt sind, und wäre Mela nicht Mela, müßte sie sich eingestehen, daß ihre Art der SPANFERKEL-Mast eine viel zu aufwendige ist. Sie schiebt die Ziffern hin und her mit dem alten Resultat, daß ihre Gäste mehr trinken müssen, um sich diese Art von Schweinernem zu verdienen.
Als sie in die Wohnung kommt, ist das Fest verrauscht, die Aschenbecher geleert, die Gläser in die Küche getragen. Frôs Tür steht offen. Mela zögert. Dieses Kind gehört ihr seit zwanzig Jahren, ob sie es daraufhin noch einmal umarmen soll? Sie stolpert im Dunkel ans Bett, doch das Bett ist leer. Ausgeflogen die Hexen-Brut. Das ist noch nie passiert. Also waren sie sich doch nicht genug – Melas triumphierender Verdacht erhärtet sich an Frôs fehlendem Schirm. Um diese Zeit!
Für einen Augenblick vergißt Mela die zwanzig Jahre. Wieviel lieber es ihr doch immer gewesen ist, wenn das Fest biszum Morgen dauerte und das Kind nur einen Schritt bis ins Bett hatte. Ungut, ausgesprochen ungut fühlt sie sich, als sie so in ihr kaltes Bett steigt. Und im Geist überschlägt sie die leeren Flaschen in der Küche. Was diesen jungen Weibern nur plötzlich eingefallen sein mag? Sie zieht das Barchentnachthemd an, das sie nur trägt, wenn sie allein ist. Es ist ihr Lieblingsnachthemd und wärmt fast so gut wie
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