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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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sie natürlich für sich. Soll der Chef sich nur ausweinen über seinem Bier. Sie hat schon kleineren Göttern das Ohr hingehalten, ohne zu agitieren. Worauf es letztlich hinausläuft, ist: Melas junger Mann muß an die Wanten. Die große Chance. Seither raucht er in ihrem Bett und schreit laut im Schlaf »Leviathan! Leviathan!«. Aber er will ihn nicht umbringen, sondern reiten. Er wolle das System nicht aufweichen, erklärt er vor dem nächsten Schlafanfall, nur elastischer machen. Dann läßt die Erschöpfung ihn abwechselnd schnarchen und mit den Zähnen knirschen. Mela hofft, daß Frô es nicht hört.
    Behutsam zieht sie sich unter ihm weg. Wer knirscht, der schnappt auch gelegentlich, und Bissen dieser Art stellt sie ihr weißes Fleisch nur höchst ungern zur Verfügung. Sie kann ihn ohnehin nicht bis zum Morgen so liegen lassen. Ausgemacht ist, daß er spätestens vor dem Hellwerden geht. Jetzt ist Winter. Trotzdem soll keiner von den Frühaufstehern ihn herausschleichen sehen, zur Zeit schon gar nicht. Chef und Volk wollen ihn ausgeschlafen aus dem eigenen Hauseingang kommen sehen. Bubenhaft – wie es ihn da so durch die Träume schmeißt, Tormann bei der Austria. Melas Mitgefühl ist ein aufbauendes: soll er sich anstrengen! Sie ist auch durch die Höhen und Tiefen der Branche gegangen, bis sie wußte, wie es läuft.
    Wie er sich in die Decke krallt, als wär’s ihr Leib. Sie fährt ihm durchs Haar. Ein bißchen mehr Hirn und ein bißchen weniger Ehrgeiz, das wäre es, was sie ihm wünschte. Er hat es ja, das Hirn, aber gebraucht er es auch? Einsperren müßte man ihn, damit er sich in Ruhe was einfallen lassen kann.
    Sie schnuppert an den Schultern des jungen Mannes. Was sie einatmet, ist ihr bekannt als der Geruch eines Gehetzten, der möglicherweise als erster durchs Ziel rennt. Vorbei an ihr.
    In wenigen Minuten wird sie ihn wecken.

    Borisch greift mit kalten Fingern nach Melas Arm. Das Pelzschiffchen, fest in ihre fuchsischen Locken gepreßt, glitzert von zerschmolzenen Schneeflocken, während ihre Lippen trotz der roten Schminke einen Blaustich haben. »Wo?« fragt sie in Melas von der Krempe eines Schlapphutes verschattetes Gesicht hinein, »wo ist das Volk denn hin?«
    Der junge Mann hat zu tun, aus ist es mit den geheiligten Montag-Ausflügen. Statt dessen einkaufen mit Borisch – eine alte Gewohnheit –, sich gegenseitig den kritischen Blick leihen.
    Borisch reckt den goldumkettelten Hals, einen schönen Hals, noch gar nicht sehr faltig. Sie späht durch das Fenster des Cafés, vor das der Ober gerade den Vorhang zieht. »Ich sehe nur Leute mit Einkaufstaschen.« Sie haben die ihren auf den freien Stuhl gepfercht, noch knistert das glanzbeschichtete Papier, wie es sich in der Wärme in die alte Form zurückdehnt. Mela greift mit ihrer warmen Hand nach Borischs Fingern. Sie findet es lächerlich, daß sie die Montag-Ausflüge so vermißt, schon lange hat sie wieder Lust auf so einen Einkaufsnachmittag gehabt. Das ganze Café ist braunstichig, penetrant braunstichig, wie die neuerdings auf alt gemachten Fotos. Anscheinend hat sich nichts verändert.
    Weder der Ober mit dem Hitler-Bärtchen – darauf angesprochen, würde er sagen, daß es das Bärtchen schon viel länger gebe, auch habe schon sein Großvater Adolf geheißen – noch der Zeitungstisch. Der Unterschied zwischen Patina und Schäbigkeit liegt wohl am ehesten in der Beleuchtung, und wer schaut sich in einem Café schon in den Spiegel? Borisch schreckt vor nichts zurück. »Ich will dir was sagen. Mit all den Einkaufstaschen kann man keinen Aufstand machen. Wenn man keine Hand frei hat, muß man sich eine Menge gefallen lassen.«
    Meine Damen, der Ober balanciert die kakaogesprenkelten Schaumgupfe über ihren Hüten und stößt dann mit dem Silbertablett mitten zwischen ihnen hernieder, ein kleiner Schwung in der Zielgeraden, und es klirrt nicht einmal, als er die Tassen auf den Marmor gleiten läßt. Mela ist hingerissen von der Virtuosität solcher Bewegungen, das Berufsgeheimnis eines echten Kaffeehausobers. Kein Speisenträger bringt es je zu einer solchen Eleganz.
    Borisch rührt und rührt. »Du wirst sehen, es passiert garnichts. Bei uns hat man sie vor noch nicht allzulanger Zeit an die Laternen gehängt, zumindest einige – als Exempel. Aber die?« Borisch deutet mit dem tropfenden Kaffeelöffel auf die Bilder in der Zeitung: »Denen zahlt man noch was, damit sie gehen. Und kein Gedanke an Erhebung. Diesem Volk fehlt der

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