Ueber die Verhaeltnisse
Demokratie?
Irgendwie graust ihr heut vor den Gästen. Wie sie sich so berauschen an den eigenen zynischen Theorien, einen Dreck durchschauen die, jeder sein im eigenen Schmalz herausgebackener Potentat, der die Infamie ein Stückchen weitertreibt. Aber keiner von diesen Hintergrundspitzeln und Stimmungsspionen kann ihr sagen, wo ihre Tochter sich aufhält. Die reden daher, als gäbe es all die Sauereien nur, damit sie sich daran delektieren, während andere, darunter vielleicht auch ihr Kind, den Gefahren dieser versauten Welt tatsächlich ausgesetzt sind.
Das Tagespublikum ist ihr bei weitem lieber. Das bringt zwar nicht so viel, aber es redet auch nicht so geschwollen daher.
»Wie machen Sie das nur, Frau Wirtin«, quatscht einer von den Oberwurschteln sie an, »eine schöne Frau wie Sie und dazu noch so ein phantasievolles Essen?«
»Gar nicht«, erwidert Mela kühl, »halten zu Gnaden, ich lasse kochen.« Und während des drauffolgenden gekünstelten Gelächters verschwindet Mela kurzfristig in der Küche.
So lange hat sich ihr die Zeit noch selten gezogen bis zur Sperrstunde. Und als es endlich soweit ist, reißt ihr gleichsam die Geduld, weil ein paar Angezechte nicht gehen wollen. Aber dann ist mit Hilfe des Obers, der ein diskreter, aber erstklassiger Rausschmeißer ist, doch endlich Schluß.
Voll Wut und Trauer schlüpft Mela in ihr Barchentnachthemd. Und bevor sie das Licht ausmacht, liest sie noch einmal die Karte, die heute morgen gekommen ist.
Genau eine Woche alt, aufgegeben in Athen. »Verzeih, und mach Dir keine Sorgen. Es geht mir gut. Später einmal werd ich Dir alles erzählen, Frô.«
Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlt Mela sich schwach, so als hätte dieses Kind ihr tatsächlich den Lebenssaft entzogen.Schwach und gewissermaßen alt, alt wie der Schmerz, der sich so oft betäuben hat lassen, aber jetzt hilft nichts mehr. Es ist Zeit, daß ein Vater seinen langen Arm spielen läßt. Und sie wird vor nichts zurückschrecken, wenn es darauf ankommt. Die Schonzeit ist ein für alle Male um.
Ayhan hatte sich zwei Tage Zeit gelassen, bis er sich wieder meldete. Frô war sicher, daß sie ihm das nie verzeihen würde, nie im Leben. Auch hielt er sich nicht mit Erklärungen auf. »Kannst du zu mir kommen?« Seine Stimme klang ein wenig brüchig und unausgeschlafen.
»Warum sollte ich?« Es kostete Frô viel Anstrengung, diesen Satz so kühl wie möglich auszusprechen. Bis dahin hatte sie gebangt, jetzt war sie wütend.
»Weil wir nicht mehr viel Zeit haben.« Eine große Erschöpfung war ihm anzumerken, und ihr Herz schlug gewaltsam; aber sie wollte nicht sofort losrennen.
»Also gut«, sie machte eine eindrucksvolle Pause, »in zwei Stunden.«
Sie war nicht zur Universität gegangen an diesem Tag, um seinen Anruf, auf den sie immer noch wartete, nicht zu versäumen. Jetzt war sie wie versessen darauf, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
Frô badete, zog sich um und ging dann fast eine Stunde in der Wohnung auf und ab, um sich mit jener eisigen Freundlichkeit zu wappnen, die sie unverwundbar machen sollte, und als sie sich dann endlich auf den Weg machte, setzte sie die Schritte steif und künstlich verlangsamt.
Es dauerte eine Weile, bis Ayhan ihr öffnete. Er versuchte zu lächeln, als er ihrem strafenden Blick begegnete, aber sein Gesicht wirkte verschattet, und der Morgenmantel, den ertrug, war eine Mischung aus Mönchskutte und Kaftan mit langen weiten Ärmeln, die sich um sie schlossen, während er sie an sich zog und leichthin küßte.
»Du mußt entschuldigen«, sagte er, sie in das Zimmer mit dem Spiegel führend. Eine noch unausgepackte Reisetasche stand neben der Tür, und auf dem Sofa war ein Bett aufgeschlagen.
Er bot ihr eine Zigarette an, und sie setzten sich auf die beiden Kissen einander gegenüber. »Ich mußte überraschend nach Zürich, trotz dem Wochenende; gleich nachdem du weg warst, kam der Anruf. Ich habe zwei Nächte so gut wie nicht geschlafen, aber die Angelegenheit war tatsächlich dringend.« Er schwieg einen Augenblick. »Eigentlich wollte ich mich nach dem Duschen nur einen Augenblick hinlegen, aber dann bin ich doch eingenickt.« Er gähnte.
»Und in ganz Zürich hat es kein Telefon gegeben?« Noch immer bebte die Kränkung in ihr nach.
Er sah sie verwundert, beinah belustigt an, so als halte er jedes weitere Wort darüber für eine Zumutung. »Doch.« Er griff nach ihrer Hand und schob sie unter die Kutte, an die Stelle seines Herzens. »Aber mir
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