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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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echter Durchmarschierer, wird ihm selbst von der ihm nicht ergebenen Presse konzediert. Etwas durchziehen, sagt er, ist die Grundlage des Respekts, und den muß dieses Land wieder lernen. Auch vor sich selber, fügt er hinzu. Ein neuer Patriotismus muß her, der sich erhebt überdie angeblichen Skandale. Ein Land ist so gut, wie seine Bewohner von ihm denken, also denkt gut, Freunde. Wir sind wer, wir haben was, und die Geschichte hat es letztlich doch gut mit uns gemeint. Sollen die anderen über uns lachen, wir ersitzen uns den Platz an der Sonne. Und dafür, Freunde, darf dem Volk nichts zu teuer sein. Natürlich kann es nicht immer im selben Tempo weitergehen, aber seid getrost, Freunde, die meisten von uns sitzen schon. Und wir tragen schwer genug an unserem historischen Auftrag, darum brauchen wir auch mehr Platz zum Sitzen. Alles, was wir sind, verdanken wir der Sitzordnung. Also lüpft euren Hintern, Freunde, wenn euch die Unterlage zu heiß wird. Das Haus der Mutter Austria hat viele Stühle, aber nur wenig gepolsterte. Wohl dem also, der einen Stammplatz hat, nach Möglichkeit in der fußfreien Reihe. Daß man sich in den unteren Rängen nicht anlehnen kann, stärkt die Muskulatur. Erst wenn der Rücken krumm ist, hat er Anspruch auf Stützung. Wer aufrückt, sitzt die vermeintliche Krise natürlich länger aus, aber wir arbeiten schließlich nicht mit den Beinen, sondern mit dem Kopf, und da zeigt es sich schon, wer der wahre Sitzriese ist. Und von Plenum zu Plenum, werte Freunde und Freundinnen, setzen wir uns weiter durch, all den sinnlos Herumstehenden zur Lehre.
    Bei diesen Aussichten knickt sogar berufsmäßigen Läufern der Fuß, und die wenigen, die sich beim Sitzen noch aufrecht halten, zermahlen dabei ihre Bandscheiben.
    Eine durchgesessene Politik mit einem Wort, die nur bildlich marschiert, in hierarchisch geordneten Logenplätzen und mit der vielgeübten Fähigkeit des Thronens. Also stimmt der Vergleich beileibe nicht, den neulich ein Schweizer Schriftsteller im Fernsehen gezogen hat, nämlich, die Politiker sollten, gab er der Frage des Interviewers nach deren Rolle zurAntwort, einfach ihre Arbeit tun, wie jeder anständige Trambahnschaffner. Aber doch nicht im Stehen, bitteschön. Außerdem kommen die Trambahnschaffner immer mehr ab, seit es die automatischen Entwerter gibt. Und nun fährt die ganze Welt schwarz.
    Inzwischen sei die ärgste Gefahr abgewendet, sagt der Chef, und in Kürze werde alles in Ordnung kommen, denn jetzt hat der junge Mann den obersten Sitz im Kontrollturm, und bei dem Überblick kann nicht mehr viel schiefgehen.
    Und im Grunde, sagt der Chef zu Mela, könne es gar nicht wirklich und umfassend krachen, denn die Wirtschaft regle sich weltweit selber, nur lassen müsse man sie. Nicht zuviel, das störe die Sitzordnung, die aber habe dafür zu sorgen, daß es in den unteren Rängen nicht allzusehr ziehe und daß die in den oberen gut miteinander könnten.
    Mela aber sitzt nur mit dem halben Hintern, und sie wetzt auch noch, denn die Sitzordnung ist ihr ziemlich wurscht. Und während der Chef an einer wunderbar saftigen, kroß gebratenen Stelze säbelt, zeigt sich noch immer kein Nadelöhr, durch das sie sich zur Sache fädeln könnte. Nervös nippt sie am Schaum ihres kleinen Biers, und am liebsten würde sie die Stelze selber tranchieren und ihm vorlegen, damit er wenigstens für Sekunden den Blick hebt. Es ist gar nicht so leicht gewesen, ihn abzupassen, sein Terminkalender, stöhnt er mit vollen Backen, springe ärger mit ihm um als einst sie mit ihm als Liebhaber. Was hat er denn? Will er nach zwanzig Jahren plötzlich galant werden? Oder kommt er gar schon in das Alter, in dem man sich vorzugsweise erinnert? Aber wenn das kein Stichwort ist, und Mela will es nicht ungenutzt verpuffen lassen, vielleicht braucht sie diese Assoziation noch als Lichtaufbesserung für ihre Aufklärung. Also eingehakt. »Mitdem Unterschied«, sagt sie, »daß ich dich nie dazu gezwungen habe, Überstunden zu machen.«
    »Aber du warst sehr leistungsbewußt.« Der Chef schiebt befriedigt den Knochen von sich, »und ich nehme an, diesbezüglich geht es dir noch immer gut!«
    »Weder diesbezüglich noch sonst«, das ist der Einstieg, »es geht mir schlecht, wenn du es wissen willst.«
    Irritiert fährt der Chef mit dem Kopf zurück, und schon ist es wieder passiert, daß ihm der Zahnstocher abbricht und ein Stück davon zwischen den Zähnen steckenbleibt. »Was ist los?« fragt er, während

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