Ueber die Verhaeltnisse
und stellte das Telefon neben sich. »Komm schon«, sagte sie beschwörend und fuhr mit dem Finger aufmunternd über den Apparat. »Tu mir den Gefallen, du siehst, wie dringend es ist. Ich warte, hörst du.«
Sie hatte kein Licht gemacht und hielt das Ohr an den Apparat gepreßt. Als es dann gegen Abend tatsächlich schrillte, erschrak sie zu Tode. Es war eine ihrer Freundinnen, die sie fragte, ob sie mit in ein bestimmtes Lokal kommen wolle, in dem ein berühmter alter Blues-Sänger auftrete. Frô schützte eine Magenverstimmung vor. »Mir ist leider schlecht«, sagte sie, und nachdem sie eingehängt hatte, fühlte sie sich tatsächlich elend.
Jeder Platz besetzt. Am Abend bringt Mela ihre Gäste nur mehr nach Vorbestellung unter. In der Köchin aber hat sie ihre Meisterin gefunden, eine junge Person mit unbeschreiblichemTalent – geradezu literarisch. »Brennendes Staatsgeheimnis« heißt neuerdings eine Komposition aus Saurüssel, viel Kren und Markscheiben. Ein saftiges Lendenstück mit finnischen Morcheln wird zur »Damenspende«, besondere Mühe aber hat sie sich mit der »Überraschung des Hofrats« gegeben, einem schaumigen Muskat-Soufflé mit eingebackenen Kuttelstreifchen. Wenn Mela dann ihr Reich abschreitet, um sich persönlich zu überzeugen, daß es geschmeckt hat, und auch dann und wann geistesgegenwärtig einen leer gegessenen störenden Teller abräumt, kann es schon geschehen, daß sie einen Gedanken an die Köchin als Nachfolgerin verschwendet. Es wird immer unwahrscheinlicher, daß Frô noch einmal ins Geschäft einsteigt, selbst wenn sie zurückkommt.
»Laß sie sich austoben«, hat Borisch gesagt, »das muß sein.« Dagegen hat Mela auch nichts. Nur nicht so, ohne ein Wort und mit diesem Kerl. Es kann nur dieser Kerl sein, und sie verflucht den Tag, an dem sie Frô zum letztenmal gebeten hat auszuhelfen.
Nichts ist es mit der Zufriedenheit über den guten Geschäftsgang. Nur ihre Gäste fühlen sich sichtlich wohl und reden die politische Lage zu Putzfetzen, ohne die Gläser aus der Hand zu lassen. Die Neubesetzungen in der Industrie werden zusammen mit all dem Schweinernen eingespeichelt und durchgekaut, und keine Vermutung über die Hintergründe ist zu weit hergeholt, als daß sie nicht über Leberwurst und Schinken-Gratin mit einer noch weiter hergeholten zusammenstieße.
Spitze und dumpfe Töne schmelzen zu einer Klangwolke der Möglichkeiten zusammen, wie man dem Fiskus am besten ein Schnippchen schlägt, diesem raffgierigen Behemot, der das Eingesackte seiner schlauen Klientel als Roulette-Jeton überläßt.
Hin und wieder grollen auch dumpfere Zwischentöne durchdie verschworene Nachtmusik, die den jeweiligen Tischnachbarn das Gruseln lehren sollen, wenn einer der düsteren Geschichtenerzähler die eben innegewordene Intrige mit schwefligem Lächeln über die weinglänzenden Lippen quellen läßt.
Und alle halten alles für möglich. Vom üblichen Geschäft bis zum ganz großen Betrug, von der ausgewachsenen Bestechung bis zur nicht stattfindenden Verurteilung. Der kaschierte Politmord und die große Schwarzgeldverschiebung, der heruntergedrückte Ölpreis und der vertuschte Waffenexport, der sterbende Wald und die Vergiftung der Grundnahrungsmittel, Beugung des Rechts und Parteiennepotismus, alles verkommt zu einem Schauer, der den genüßlich bebenden Rücken hinunterrinnt. Kein Wunder, daß die Kinos leer bleiben bei all den Live-Vorführungen. Und jeder ist sein eigener Rechercheur, der den anderen mit noch einer Information übertrumpft. Jeder kennt einen, der den kennt, der dahintersteckt, und weiß, wer auch hinter dem noch steckt. Das große Spiel vom »Gewußt wer« hält die Leute an den Tischen, an denen jeder gewinnen kann beim großen Hinter-die-Kulissen-Schauen. »Denn hier«, sagt einer hinter der scheinheilig vorgehaltenen Hand, während er mit der anderen leicht auf den Tisch haut, »hier laufen die Fäden zusammen.« Und Mela kann sehen, wie sich dem Partner vor der gewitterten Intimität das Nackenhaar kräuselt.
Mein Gott, denkt Mela, ob die Menschen immer so sind oder nur, wenn sie ins Wirtshaus gehen? Vielleicht kommen die alle nur her, weil sie glauben, daß hier Staat gespielt wird? Lächerlich. Nur weil der Chef und ein paar aus dem Team hier manchmal den Fuß über die Schwelle setzen. Aber wissen tun es die Leut. Möglicherweise produzieren sie sich vor ihr, weil die Hoffnung sie juckt, daß sie es weitererzählt. Eine hautnähere Art von
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