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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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umihren Geliebten an der Ecke verschwinden zu sehen, während ihr Zopf wie der von Rapunzel übers Fensterbrett hing.
    Sie sah einen dicken Polizisten, der, ohne sich vorher umzudrehen, gegen die Einfahrt des Finanzministeriums pißte, aber auch den streunenden Hund, der danach kam, an der noch dampfenden Lacke schnupperte und irritiert weiterging, ohne das Bein zu heben. Die schon zu ahnende Helligkeit begann wie Bäckermehl durch die Finsternis zu rieseln und vermischte sich mit den kleinen Wölkchen, die sie in die kältestarre Luft hauchte. Sie roch den grauschwarzen Auswurf der sich langsam warm fahrenden Lieferwagen, und ihre eigene Zunge suggerierte ihr den Geschmack von Kaffee, der nun bald wie eine andere Art von Blut durch die Organismen der noch Schlafenden fließen würde, um sie an den Kreislauf des Wachseins anzuschließen. Sie glaubte Stimmen zu hören, ein Flüstern, Murren und Zwitschern, das aus allen Mauern drang, als reichten sie nicht aus zur Bedeckung des Lebens, das sich dahinter abspielte, aber auch auf Simsen, Vorsprüngen und Dächern. Sie sah immer mehr Menschen, die sich aus dem Torschatten lösten oder in ihm verschwanden, und plötzlich waren auch die Straßen von Stimmen erfüllt, die zu einem Rauschen ineinanderflossen, wie man es als ersten Eindruck von der wiedergewonnenen Welt erfährt, wenn man aus einer Ohnmacht erwacht.
    Die Müdigkeit drückte gegen Frôs Magengrube, und doch war sie so wach, daß sie in den ausgekühlten Küchen das Miauen der Katzen in Erwartung ihrer Morgenmilch zu hören glaubte und das Schreien der Säuglinge, denen die nassen Windeln die Haut ätzten.
    Und sie spürte, wie ihre Mutter sich noch einmal im Bett herumdrehte, unruhig und ein wenig feucht vom Schweiß der Träume, in denen sie sie gefangenhielt, auch wenn sie sich soweit entfernt hatte wie in dieser Nacht. Und je näher sie dem Haus kam, desto deutlicher hörte sie auch die Stimme ihrer Mutter, die im Traum nach ihr rief, so als könnte sie sie in ihrem Schoß zurückhalten, aber sie war bereits entwischt und spielte auf ihrer eigenen sonnenfleckigen Wiese.
    Frô schlief zu den ewig gleichen Morgengeräuschen ihrer Mutter, die sich für den Tag zurechtmachte, ein. Sie hatte die Tür offengelassen, damit Mela sich davon überzeugen konnte, daß sie da war, aber als sie dann tatsächlich ins Zimmer trat, schlief Frô bereits so tief, daß sie es nicht mehr wahrnahm.
    Eine Katze, die zu streunen beginnt, dachte Mela beim Anblick ihrer nur notdürftig abgeschminkten Tochter. Irgendwie wiederholt sich doch alles, und sie mußte ein gutes Stück in ihrer Erinnerung zurückgehen, bis sie sich zu einem Lächeln entschloß.
    »Ayhan«, sagte Frô laut, als sie gegen Mittag erwachte, so als müsse sie sich noch immer des Namens versichern, obwohl sie keinen Augenblick an der Wirklichkeit des Geschehenen zweifelte.
    Sie stand auf, badete und ging hinunter ins SPANFERKEL. Sie hatte Hunger. Es war Samstag, und sie brauchte nicht zur Universität. Mela beobachtete sie mit einer Mischung aus Mißtrauen und Billigung, wie sie ein riesiges Kotelett verschlang und sogar noch Kartoffeln nachnahm. Die Köchin aber war ganz begeistert und bereitete ihr einen speziellen Fruchtbecher als Nachtisch zu.
    »Kaffee?« fragte Mela, die immer wieder zu ihr in die Küche kam. Frô hatte es vorgezogen, die Gasträume nicht zu betreten und sich in der Küche verpflegen zu lassen.
    »Den mach ich mir oben.«
    Mela umarmte Frô kurz, enthielt sich aber jeder Anspielung.
    Von dem Augenblick an, in dem Frô wieder in der Wohnung war, begann sie zu warten. Unschlüssig legte sie sich aufs Bett, aber sie war zu wach, um noch einmal einzuschlafen. Sie öffnete die Tür zum Wohnzimmer, um das Telefon nicht zu überhören, und begann ihre Sachen in Ordnung zu bringen. Sie holte einen großen Karton und einen riesigen schwarzen Plastiksack aus dem Abstellraum, sie würde alles, was sie nicht mehr brauchte, wegwerfen oder der Caritas schenken. Und solange sie damit beschäftigt war, konnte sie auch das Warten ertragen.
    Die Jahreszeit näherte sich ihrem kürzesten Tag, und es wurde rasch dunkel draußen. Sack und Karton waren randvoll gepackt, und irgendwie sah ihr Zimmer jetzt anders aus. Sie wusch sich lange und sorgfältig den Staub von den Fingern, und da es nichts mehr zum Aussortieren gab, ordnete sie ihre Lehrbücher und Skripten nach einem neuen System.
    Dann kochte sie frischen Kaffee, legte sich im Wohnzimmer auf den Teppich

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