Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
Vom Netzwerk:
Milchpackungen verschiedenen Datums. Aus den fransigen Lappen einer Plastikhaut klafften ihr die Reste einer dunkel verfärbten Streichwurst entgegen, die Ränder zweier Schinkenblätter wölbten sich austrocknend nach oben, Käse verschimmelte, halb von Stanniol verdeckt, in einer hinteren Ecke, und sie stellte sich Ayhan vor, wie er mit diesen Dingen lebte, sie aussuchte, einkaufte, heimtrug und sie dann angewidert vergaß, sobald sie nicht mehr zu gebrauchen waren. Eine Art nüchterner Einsamkeit stieg aus dem Kühlschrank auf, die ihr zum erstenmal zu Bewußtsein brachte, wie verwöhnt sie eigentlich war und wie wenig sie sich bisher um die notwendigen Dinge des Lebens wie Essen, frische Wäsche, ein Dach über dem Kopf hatte kümmern müssen und wie wichtig sie ihr, obwohl sie sie nie eigens beachtet hatte, offenbar waren. Automatisch setzte sich ihre Hand in Bewegung, um all das Verdorbene wegzuwerfen, aber dann nahm sie doch nur eine Milchpackung heraus und schloß die Tür wieder. Irgendwie schien es ihr anmaßend, hier Ordnung zu machen, bei jemandem, der sie nicht darum gebeten hatte. »Ich will dich um mich haben«, hatte er gesagt, sonst nichts.
    Frô wartete, bis der Kaffee durch die Maschine gelaufen war, und da sie weder Kuchen noch Kekse, sondern nur eine angebrochene Tafel Schokolade gefunden hatte, legte sie ein paar Stückchen davon auf einen kleinen Teller und trug dannalles auf einem mit merkwürdigen Schriftzeichen versehenen Tablett vor Ayhans Bett und setzte sich dazu auf den Teppich.
    Der Duft des Kaffees mußte ihn geweckt haben, denn plötzlich fuhr er empor, wie jemand, der sich selber nicht eingestehen möchte, daß er geschlafen hat, jedoch unsicher ist, wo er sich befindet. Als er Frô bemerkte, die gerade eine Tasse füllte, ließ er sich beruhigt zurückfallen, um sich dann zu ihr zu beugen. »Verzeihung, Prinzessin, es wäre natürlich meine Aufgabe gewesen, doch bin ich Ihnen sehr dankbar.« Frô raffte den Kaftan und neigte hoheitsvoll den Kopf, während sie Ayhan die Tasse reichte. Sie tranken schweigend, und danach ging Ayhan ins Bad. Als er wiederkam, war er frisch rasiert, und sie umarmten sich wieder, heftig, als läge das Heil darin.
    »Was meinst du damit, daß wir wenig Zeit haben?« Frô sprach von ganz nahe in sein Ohr.
    »In spätestens drei Wochen muß ich meinen Posten in der Türkei antreten, da hat noch viel zu geschehen.«
    Frô schien lange nachzudenken, vielleicht aber hatte sie nur Angst, es auszusprechen. »Und wenn ich mit dir komme?«
    Er nahm ihr Gesicht in die Hände und küßte es wahllos. »Ich kann dir nichts bieten, außer Furcht und Langeweile.«
    »Ich fürchte mich nicht, und ich langweile mich nie.« Es klang nach kindlichem Trotz und gekränktem Stolz und doch auf bestimmte Weise erwachsen.
    »Ich muß viel herumreisen, und oft werde ich vorher nicht genau wissen, wohin und wie lange ich bleibe. Ich müßte dich warten lassen, immer wieder. Und dein Spielraum wäre ziemlich klein.« Merkwürdig, daß auch Ayhan von diesem Spielraum sprach.
    »Du bist nicht ich, du kannst nicht wissen, was ich mit meiner Zeit mache.«
    »Ich kenne das Land, und ich fürchte, du bist dort auf mich angewiesen.«
    Frô zog den Kopf ein und dachte lange nach. Sie hatte einen Entschluß gefaßt, und dieser Entschluß schien ihr übermächtig.
    Ayhan umarmte sie und sagte begütigend: »Kind, du weißt nicht, wovon du redest.«
    »Dann erklär es mir.« Frô sah ihn streng an, und Ayhan sagte nichts mehr, schüttelte nur den Kopf, während er sie an sich zog.

    Streit um die alten Ideen und wer der bessere Sachwalter sei. Hohl und heuchlerisch tönt es aus den angestammten Sprachrohren, und wieder einmal dienen die ehedem und gutgläubig ausgegebenen Zielvorstellungen als die das Lager kennzeichnenden Anstecknadeln. Die einen verlassen sich auf die unbestreitbaren Verdienste, die anderen rütteln gegenwartsleidig daran. Und die zwischen den Stühlen sitzen, kämpfen um das Überleben des Scheckenfalters oder für die Demokratie in entfernt liegenden Erdteilen, was eben nur mehr Karrieristen als Nachwuchs in Frage kommen läßt. Aber für das, was später sein wird, interessiert sich ohnehin im Augenblick niemand. Selbst in den Schulen wird die Zukunftsform nicht mehr unterrichtet, als Ersatz dafür heißt es: So lange wie möglich.
    Und knapp vorm Abbröckeln hat der Chef Konsequenz bewiesen, wenn schon keinen starken Arm, so wenigstens einen krumm gemachten Finger. Ein

Weitere Kostenlose Bücher