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Ueber die Verhaeltnisse

Ueber die Verhaeltnisse

Titel: Ueber die Verhaeltnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Frischmuth
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Mela beinahe. Der Chef habe sich unglückselig exponiert, und selbst im innersten Kreis heiße es, daß er müde sei.
    »Müde?« Mela ist wieder glockenwach. »Was heißt müde, entscheidungsfaul, das ist alles«, läßt sie sich erstmalig in der monatelangen Bekanntschaft zu einem Urteil über den obersten Dienstgeber hinreißen.
    »Sag das nicht.« Der junge Mann klingt wie ein verschnupfter Eingeweidebeschauer. »Wir werden uns alle noch wundern über seine Entscheidungen. So wie jetzt alles auseinanderfällt, wird er plötzlich eine ungeheure Anstrengung machen. Vielleicht tauscht er uns alle aus.«
    »Dich auch?« Mela fängt jetzt schon an, sich zu wundern. »Hast du Angst?«
    »Das nicht. Aber in diesem Fall ginge ich lieber selber.« Ein Quentchen Schweigen nistet sich in der Leitung ein, dann meint der junge Mann: »Fehlen tust du mir schon.« Melaschnieft befriedigt, und zum Glück denkt er noch rechtzeitig an die Frage, die einzige, die sie tatsächlich hören will: »Was ist mit der Tochter?«
    Melas Ausbruch hält sich in Grenzen, schließlich ist sie sich der Gesprächskosten bewußt, und im Augenblick mißbraucht der junge Mann kein Diensttelefon. Schon wieder nachtschlafen, grummelt sie vor sich hin, daß sie sich insgesamt hingehalten vorkomme und überhaupt. Dauernd schalte sich jemand dazwischen. Einmal heiße es dies und dann wieder das, und kein Mensch könne ihr offenbar sagen, wann das Kind nun wirklich und leiblich in Erscheinung trete. Aber sie lasse schon nicht locker, betont sie, als der junge Mann sie – so gut es gehen mag – auf Geduld verweist. »Wer kann wissen, was in dem Mädchen vorgeht«, läßt er vorsichtig einfließen, denn natürlich weiß er mehr, als er zugibt.
    »Mädchen«, mault Mela, »ist gut. Wie du weißt, hat der Kerl sie auch noch geheiratet.«
    Der junge Mann wagt nicht zu lachen, und da er den Reiz immer heftiger verspürt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich so rasch und so schonend wie möglich zu verabschieden.
    Geheiratet, klingt die eigene Stimme in Mela nach, unweigerlich gefolgt von dem Stoßseufzer: Wenn sie nur nicht schwanger wird! Solange das Kind unfruchtbar bleibt, sieht Mela eine Chance der Ungültigmachung, eine mögliche Rückkehr ins frühere Kindschaftsverhältnis. Natürlich ist das Kind jetzt groß, und natürlich wird es Liebhaber haben. Das Leben hat schon auch seine angenehmen Seiten. Aber diese vollkommene Hinwendung ist einfach altväterisch. Auf diese Weise liefert man sich heute nicht mehr aus. Wozu soll diese Ausschließlichkeit denn gut sein? Und wen schließt sie in erster Linie aus? Die bis dahin am nächsten Stehenden.
    Die alte Ordnung ist nicht mehr in Kraft, sagt sich Mela. Man braucht sich nur umzuschauen. Was findet denn statt in dieser Art von Umklammerung? Eine Wiederholung des Lebenskampfes innerhalb der eigenen vier Wände. Wer möchte das noch? Und ausgerechnet ihre eigene Tochter taumelt geradewegs in die Kleinfamilie? Pardauz! Da hat sie sich Frôs Schicksal aber anders ausgedacht. Auch das Studium scheint nicht mehr zu zählen, und so hat sie seinerzeit bestanden darauf. Da hätte sie gleich im SPANFERKEL kochen lernen können, wenn sie auf diese Art von ranzigem Glück aus ist. Aber wer weiß, ist sie das? Opfer einer Verzauberung, das ja, das schon viel eher. Man wird sie entzaubern müssen, sie befreien aus der Verstrickung. Sagen, sie soll zuerst fertigstudieren, man bricht nicht so einfach etwas ab. Zeit gewinnen. Wenn das Kind sich nur erst wieder im vertrauten Rahmen bewegt, schaut alles anders aus. Der ganze orientalische Klimbim fällt weg, und es wäre nicht ihre Tochter, wenn sie nicht wieder auf die Füße käme.
    Man hat sie eben aufs Kreuz gelegt. Mela nickt dermaßen beschwörend, daß sich der Kopfpolster verschiebt. Sicher, sicher, sicher. Aber man wird ihr helfen müssen beim Auf-die-Füße-Kommen. Doch dazu muß die Gute erst einmal greifbar sein, um Hand an sie legen zu können, sie anlangen … und dann schläft Mela unvermutet ein.

    Strahlend wie jeden Morgen – Borisch. Trotz der sichtbaren Ringe unter den Augen, weil sie schon wieder die halbe Nacht gelesen hat. Sie kann nicht genug kriegen. Der jüngere Heyn tut, was er kann, aber natürlich kann er sie nicht immer begleiten, schließlich muß er Schule halten. Borisch aber, die Unentwegte, schleppt Mela durch die auf zwei Erdteile verstreuteStadt, von Europa nach Asien und umgekehrt, füttert sie mit Moscheen und Basiliken, mit alten

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