Ueber die Verhaeltnisse
Befestigungsanlagen und Lustbauten. Und es ist, als kenne sie die Gegend wie ein Fremdenführer, »sieh da!« und »schau dort!«, offenbar hat sie nachts alles auswendig gelernt. Borisch saugt sich voll mit Bildern und Gerüchen, ja selbst der fremden Sprache lauscht sie angestrengt nach, als könne sie allein durchs Hinhören all der Wörter habhaft werden, die in dieser und ihrer ungarischen Muttersprache dasselbe bedeuten.
Melas Interesse muß immer von neuem geweckt werden. Nicht daß sie keinen Sinn für imperiale Baukunst, gut gefertigtes Handwerk und exotische Erscheinungsformen hätte, aber sie muß zu ihrem Vergnügen überlistet werden, und selbst dann registriert sie es höchstens als Bildung und beharrt auf ihrem Erwartungsschmerz.
Borisch strahlt nicht nur, sie leuchtet bis in die letzten Ausläufer ihrer Frisur, und selbst beim Essen kennt sie keinerlei Zurückzucken, im Gegensatz zu Mela, der leicht genug vor etwas graust. Und sie läßt weder Ermüdung noch Fremdeln gelten. »Wann hast du denn je wieder die Chance?« ist ihre Standardbemerkung, »so eine Gelegenheit muß man nützen!«. Und dabei schreibt sie ganze Hefte voll, lauter Anmerkungen für Edvard.
Bei den Museen aber hat Mela zu streiken begonnen, und Borisch muß es zulassen. Bockig und getrübten Blicks setzt Mela sich einstweilen in ein Teehaus, und während sie ungerührt von der Gegenwart all der sie musternden Männer ein Glas nach dem anderen leer schlürft, zuckt sie gelegentlich beim Anblick einer vorübergehenden älteren Türkin, als hätte sie Frôs Schwiegermutter leibhaftig vor sich. Dabei weiß sie gar nicht, ob die noch lebt.
Es ist Mitte März, und der Frühling beginnt zaghaft sich zu rühren. Der Wind fegt die Wolken gegen Anatolien, und die Sonne strahlt einem aus den letzten Pfützen entgegen. Besonders Unempfindliche gehen bereits in Hemdsärmeln, aber sobald man im Schatten steht, friert einen.
Borischs Garderobenplan hat sich als ziemlich verläßlich herausgestellt, worauf sie auch des öfteren selbstgefällig hinweist, doch ginge Mela ohnehin am liebsten in Sack und Asche, wenn sie nicht gerade beim Konsul eingeladen sind, der sie tatsächlich mit so ausgesuchter Höflichkeit behandelt, als wisse er alles um die olympisch-familiären Verästelungen. Was Borisch auf der Heimfahrt natürlich mit frisch geschliffener Zunge kommentiert, wobei ihr vor Lachen fast die Tränen kommen, als sie die Weisung zu formulieren versucht, die der Konsul, wohl sie betreffend, übers Amt bekommen habe.
Mela aber, nicht zu Scherzen aufgelegt, hält dem Staatsvertreter die herzliche Art zugute, mit der er die Rückkunft der Tochter innerhalb der nächsten Tage in Aussicht gestellt hat, obwohl ihr ein konkretes Datum natürlich lieber gewesen wäre.
Anderntags führt der jüngere Heyn sie durch die äußeren, rein muslimischen Stadtteile. Es riecht unverkennbar nach Armut und äußerstem Platzmangel. Mela hängt der Vorstellung nach, wie das Leben hier überhaupt funktioniert, mit dem Ergebnis, daß es wohl nur in Schichten möglich ist, räumlichen und zeitlichen, kein Nebeneinander, sondern ein Über-undunter-Sich, ein nur nach außen hin als Chaos erscheinendes rhythmisches Fluktuieren der Anwesenheiten, aber auch dann noch darauf angewiesen, daß der einzelne beim Einatmen den Brustkorb nicht zu weit dehnt.
Was aber Melas Schaulust wesentlich mehr befriedigt als sämtliche Kulturdenkmäler der Stadt, ist die kunstvolle Art, inder die Obst- und Gemüsehändler ihre Waren ausbreiten. Kreis-, stern- und mäanderförmig werden Auberginen und Paprika, Paradeiser, Radieschen und Zucchini ausgelegt, während kleine Pyramiden aus Mandarinen, deren Blätter als Ornament dienen, nach der Entnahme einiger Früchte jeweils wiedererrichtet werden, und zwar in der ganzen erforderlichen Vollkommenheit. Und sie, die sie sich für gewöhnlich nichts aus Kernen macht, entdeckt eine neue Liebe zu den Nüssen an sich, ausgelöst von der kaleidoskopartigen Anordnung von ungeschälten, noch ziemlich frischen Mandeln auf einem Eisblock, wobei der Junge – eigentlich noch ein Kind – mit flinken Fingern die Muster immer aufs neue zusammenstellt, und Mela kann sich von dem Anblick kaum losreißen.
Während Borisch den jüngeren Heyn zu immer weiter ausholenden Erklärungen provoziert und ihm sein ganzes historisches Wissen abpreßt, steht Mela hingerissen vor der Auslage eines Restaurants, in der die Fische, nach Größe geordnet, einen
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